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22.01.11 / Peinliche Freunde / Bis zuletzt hielt Frankreich am tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali fest

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-11 vom 22. Januar 2011

Peinliche Freunde
Bis zuletzt hielt Frankreich am tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali fest

Ob Tunesien, Marokko oder Algerien: In seinen ehemaligen Kolonien toleriert Paris autoritäre Regime.

Der Mittwoch, 12. Januar, war kein schöner Tag für die Pariser Medien. Par ordre de Mufti schwieg die regierungsnahe Zeitung „Le Figaro“ zum Aufstand, während Demonstranten in Tunesien unter den Kugeln der Polizei fielen. Der Konkurrent „Le Monde“ berichtete auf einer halben Seite unter einem Zitat des tunesischen Diktators. Ratlosigkeit allenthalben! Auf den Kommentarseiten des „Figaro“ las man dafür einen distanzierten, intellektuellen Beitrag des Kolumnisten Alain-Gérard Slama, der eine „Destabilisierung“ des befreundeten Landes befürchtete und die entstehende Lücke im maghrebinischen „Sicherheitssystem“ als Gefahr darstellte.

Einige Tage davor hatten die Ordnungskräfte in Algerien einen erneuten Aufstand unterdrückt. „Die Algerier sind bürgerkriegsmüde“, freute man sich heimlich. Würde es in Tunesien auch so enden? Man staunte, dass ausgerechnet in Tunesien, wo ein starker Mann mit eiserner Hand regierte,  urplötzlich Gewalt ausbrach, während sie doch eher in Algerien an der Tagesordnung war.

Marokko und Tunesien waren 1956 von Frankreich in die Unabhängigkeit entlassen worden und blieben dann relativ ruhig. Der kommunistische Spuk, der den Aufstand der algerischen FLN (1954–1962) gegen die Franzosen gefördert hatte, war weg. Allerdings spukte längst ein neues Gespenst in Nordafrika: der militante Islamismus. Frankreich ist der FLN-Nomenklatura unter Abdelaziz Bouteflika in Algier stillschweigend dafür dankbar, dass nach einem blutigen Bürgerkrieg die laizistische Zwangsherrschaft in Algier wieder Fuß gefasst hat. In Tunesien galt der republikanische Diktator Ben Ali ebenfalls als Vorkämpfer gegen „die Bärtigen“. Die letzten französischen Präsidenten François Mitterrand, Jacques Chirac und auch Nicolas Sarkozy haben ihn im wahrsten Sinne umarmt. Fast 30 Jahre lang drückten sie in Sachen Zensur, Willkür, ja sogar Folter und „Kapitalexport“ durch den nach dem Familiennamen der tunesischen Präsidentengattin bekannten Trabelsi-Klan ein Auge zu. Mitten in der historischen Revolutionswoche diagnostizierte Slama deswegen pflichtgemäß im „Figaro“ ein „Desaster“ im Staat am südlichen Mittelmeer. Hatte doch „der Nachfolger von Bourguiba“ (tunesischer Präsident von 1957–1987)  Wunder bewirkt, so Slama, während auf unzähligen Transparenten in Tunesien „Ben Ali verpiss dich!“ stand. Der „Nachfolger“ war aus Paris gesehen nicht so schlecht wie sein Ruf. Ein Drittel der jungen Tunesier, darunter 60 Prozent Frauen und Mädchen, hat eine Hochschulausbildung erhalten. Tunesien hat einen Mittelstand geschmiedet, der in Algerien fehlt. Beobachter stellten jedoch fest, dass während der weltweiten Wirtschaftskrise, die zahlreiche französische Investitionen insbesondere in der Textilindustrie zum Rückzug aus Tunesien zwang, auch der Bildungsmittelstand zunehmend arbeitslos geworden war. Der junge Mann, Mohamed Bouazizi, dessen Selbstverbrennung in Sidi Bouzid den Aufstand ausgelöst hatte, hatte das

Abitur bestanden, musste aber als Gemüseverkäufer arbeiten, um seine Familie zu ernähren. Sein Laden wurde von der Polizei aufgelöst, weil er den üblichen Bakschisch nicht bezahlen konnte. Zum Preisanstieg und zum Stellenverlust kommt im ganzen Maghreb der Bevölkerungsdruck hinzu. In Marokko, Algerien, Tunesien sind 75 Prozent der Menschen unter 30 und 50 Prozent unter 25 Jahre alt. In Tunesien gibt es eine Geburtenkontrolle, in Algerien und Marokko fehlt sie.

Paradoxerweise haben Bildungsniveau und Teilwohlstand in Tunesien zur Radikalität des Aufstandes beigetragen. Im Königreich Marokko halten der zivilisatorische Rück-stand, das Machtgefüge der Königsfamilie und eine starke französische Präsenz die Rebellion nieder. Die jungen Algerier hingegen stehen in täglicher Konfrontation mit der Polizei. Sie haben die Wahl zwischen Elend und Emigration nach Frankreich.

„Tunesien ist ein Alarmzeichen für die Nachbarn im Maghreb“, sagt der französische Politologe Pascal Boniface der Zeitung „Aujourd’hui“. Tagelang herrschte Verwirrung in der politischen Klasse in Frankreich. Der Staatspräsident war mehr als zurückhaltend. „Frankreich erteilt keine Lehren und mischt sich nicht ein“, tönte es aus dem Präsidialamt. Als die Schüsse auf Demonstranten und die Proteste der Frankreich-Tunesier bekannt wurden, bezeichnete Regierungschef François Fillon die Reaktionen von Ben Alis Polizei als „unverhältnismäßig“. Bis auf Verteidigungsminister Alain Juppé schwieg Paris dennoch weiter.

Niemand ahnte, dass Freund Ben Ali ein paar Stunden später das Weite suchen würde. Nicolas Sarkozy erfuhr zudem nicht rechtzeitig, dass die Umgebung von Ben Ali ihn hinauskomplimentiert hatte. Er musste eiligst sein Sicherheitskabinett zusammentrommeln, als das Flugzeug des Despoten schon im Anflug nach Frankreich war. Das Landeverbot und die Umleitung nach Saudi-Arabien waren eine notwendige Geschmacklosigkeit.

Für die Linken in Frankreich, die seit Jahren gegen die Unterdrück-ung der öffentlichen Meinung in Tunesien demonstrieren, war zunächst die „sanfte Revolution“ ein Grund zur Freude. Als am 16. Januar bewaffnete Gruppen in Tunis Selbstjustiz übten, flaute die Freude ab. Am 17. hatte die Armee die Lage wieder im Griff. J.-P. Picaper

Im ganzen Maghreb sprechen noch 33,4 Millionen Menschen fließend Französisch, das entspricht 64 Prozent der Tunesier, 57 Prozent der Algerier und 41,5 Prozent der Marokkaner. Offiziell leben 1,5 Millionen Algerier und 800000 Marokkaner und 600000 Tunesier in Frankreich, während 16000 Franzosen in Tunesien leben und arbeiten. Über 40000 französische Rentner haben sich für einen Lebensabend in Marokko entschieden, wo Immobilien und Dienstboten billiger sind und die Steuern sehr niedrig sind. Maschinenbau, Zulieferung von Auto- und Flugzeugteilen, zahlreiche Immobilien, die Textilindustrie im ganzen Maghreb und die größte Schifffahrtsgesellschaft in Marokko sind in französischer Hand. Renault-Nissan investiert in der Region. In Tunesien trifft man die französischen Konzerne Veolia, Sagem und EADS. Hinzu kommen die Einnahmen aus dem Tourismus, wobei die meisten der Reisenden aus Europa, vor allem Frankreich, kommen. J.-P. P.


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