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22.01.11 / Notzeit / Trotz aller Not, man wusste sich zu helfen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-11 vom 22. Januar 2011

Notzeit
Trotz aller Not, man wusste sich zu helfen

Es war die große Zeit des Improvisierens und des sich Behelfens mit den einfachsten, ja geradezu primitivsten Mitteln und Hilfsmitteln. Die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg setzten bei vielen Deutschen ungeahnten Erfindungsgeist frei. So entstanden zum Beispiel Gebrauchsartikel wie Wäscheklammern aus dickeren runden Holzzweigen, die man einfach in etwa gleich große Teile zersägte und dann mit einer keilförmigen Kerbe versah. Die Rinde ließ man drauf, sie wurde nur grob abgewischt.

In der Vorweihnachtszeit fuhr ein „fliegender Händler“ mit einem klapprigen uralten Fahrrad über die Dörfer und bot Weih-nachtsschmuck an. Dieser bestand aus gesammelten größeren Tannenzapfen, die mit Silberbronze angemalt waren. Auch Christbaumlametta bot der Händler an. Grundlage dafür waren von alliierten Bombenflugzeugen abgeworfene Stanniolstreifen, mit dem die deutschen Radaranlagen erfolgreich gestört wurden. Der gute Mann hatte mit einer Handschere fein säuberlich daraus dünne Streifen gefertigt. Sogar Wachs zum Selbermachen von Weihnachtskerzen konnte man erstehen. In der Ofenröhre in einem Behälter geschmolzen, in ein ausgedientes Tablettenröhrchen gegossen und mit einem Wollfaden ausgerüstet, ergab die dringend benötigten Weihnachtskerzen. In dickerer Ausführung konnte man so auch Kerzen für den selbstgeflochtenen Adventskranz anfertigen.

Etwas ganz Besonderes gab es auch beim „fliegenden Händler“. Aus Sperrholz ausgesägte Krippenfiguren mit einem Stall und sogar einem großen „Weih-nachtsstern von Bethlehem“ darauf montiert.

Laubsägearbeiten entstanden damals fast in jedem Haushalt. Opa oder Vater besorgten irgendwie das Sperrholz, die größeren Kinder sägten daraus Figuren und Teile für den Krippenstall oder für ein Vogelhäuschen. Gefüllt wurde das dann mit Küchenabfällen oder Fegespreu von einem bekannten Bauern.

In Vaters Schneiderwerkstatt entstanden aus aufgetrennten Marine-Uniformen schmucke Damenkostüme und kuschelige Wintermäntel. In Königsberg hatte Vater noch das Schneiderhandwerk gelernt. In Braunsberg im Ermland legte er später seine Meisterprüfung ab.

Da es damals auch keine Knöpfe zu kaufen oder zu besorgen gab, überzog man mit Stoffresten blanke Uniformknöpfe mit und ohne Hakenkreuz. Aus Fallschirmseide fertigte man originelle Damenblusen, auch benutzte man das glänzende Material als Futter für Mäntel und Kostüme.

Das Sammeln von Wildbeeren und Wildkräutern hatte damals Hochkonjunktur. An Wald- und Feldrändern wuchsen manchmal Brombeer- und Himbeersträucher, die mitunter im Wettlauf mit anderen Pflückern abgeerntet wurden. Auch Hagebutten in unterschiedlicher Form waren sehr willkommen. Hagebuttenmus galt als besondere Delikatesse. Marmeladen und Soßen erlangten so eine ganz besondere Geschmacksnote.

Sogar Wildgemüse wuchs auf Wiesen, an Bahndämmen und an Grabenrändern. Brennesseln waren hochwillkommen und billiger Spinatersatz. Aus Sauerampfer, der an Wegrändern und auf Wiesen gedieh, entstand leckerer süßer Nachtisch. Sirup aus Zuckerrüben war willkommener Brotaufstrich. Heller Sirup sah aus wie edler Bienenhonig und mundete vorzüglich.

So war das damals in der Nachkriegszeit. Trotz aller Not und allen Elends wußte man sich immer irgendwie zu helfen!    Klaus Lehmann


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