20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
22.01.11 / Medizin für Mittellose / Ein pensionierter Arzt unterstützt bedürftige Patienten – Sein Beispiel macht Schule

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-11 vom 22. Januar 2011

Medizin für Mittellose
Ein pensionierter Arzt unterstützt bedürftige Patienten – Sein Beispiel macht Schule

Praxisgebühr, hohe Zuzahlungen bei Rezepten, eventuelle Sonderbeiträge für die Krankenkasse – die Preisspirale im Gesundheitswesen dreht sich immer weiter. Viele können sich einen Gang zum Arzt kaum noch leisten.

Vor einem Jahr eröffnete in Bad Segeberg die „Praxis ohne Grenzen“. Hier behandelt der Allgemeinmediziner Uwe Denker Menschen, für die ein Besuch beim Arzt zu teuer ist, kostenlos. Die Patienten können dabei anonym bleiben und müssen ihre Bedürftigkeit auch nicht belegen. Für sein Engagement ist der Arzt im Ruhestand in einer gemeinsamen Aktion von norddeutschen Fernseh- und Hörfunksendern sowie Zeitungsverlagen zum „Held des Nordens 2010“ gewählt worden.

Der gebürtige Ostpreuße gibt sich bescheiden: „Ich fühle mich nicht als Held“, sagt Denker. Aber für die Sache, die „Praxis ohne Grenzen“, freue ihn sein Erfolg ungemein. „Als praktizierender Arzt habe ich gesehen, wie viele Bürger an der Praxisgebühr und den Zuzahlungen für Medikamente verzweifeln“, erklärt der 72-Jährige sein ehrenamtliches Engagement. „Arztbesuche werden deshalb oft vermieden, was lebensgefährliche Folgen haben kann.“ Es sei vor allem seine christlich-soziale Grundeinstellung, die ihn antreibe, sagt er. „Nachdem ich meine Praxis vor fünf Jahren aus Altersgründen geschlossen habe, bin ich weiterhin Vorsitzender vom ,Gesundheitsforum Segeberg‘ geblieben. In dieser Funktion hatte ich weiterhin viel Kontakt mit Patienten. So bekomme ich die Sorgen der Patienten mit und habe erfahren, dass arme Menschen häufig nicht zum Arzt gehen. Daher beschloss ich vor drei Jahren, eine ,Praxis ohne Grenzen‘ in enger Kooperation mit der ,Segeberger Tafel‘ zu gründen.“

Unter dem Dach der Diakonie hat die Praxis mittlerweile ihr Zuhause gefunden. Behandelte Denker vor einem Jahr noch aus dem Arztkoffer, gibt es mittlerweile einen richtigen Praxisraum mit Patientenliege und medizinischem Gerät. „Alles wurde gespendet beziehungsweise von Spenden bezahlt“, erklärt Denker.

Rund 70 Patienten kamen bisher in die Sprechstunde, die jeden Mittwoch von 15 bis 17 Uhr stattfindet. Die Lebensgeschichten der Menschen sind so vielfältig wie ihre Beschwerden. Es sind chronisch erkrankte, alleinerziehende Mütter, die Infektionen verschleppt haben. Es sind Rentner, die Medikamente strecken, um ein Quartal zu überbrücken. Es sind Freiberufler, die plötzlich ihre Privatversicherung nicht mehr zahlen können.

Der jüngste Patient sei elf, die älteste Patientin 75 Jahre alt, sagt Denker. Ungefähr ein Prozent der Bevölkerung ist nicht ausreichend medizinisch versorgt, schätzt er. „Wir versuchen, diese Lücke zu schließen, und das wird uns hoffentlich gelingen“, meint er, „Viele, die zu uns kommen, gehen erst einmal vor der Tür auf und ab, entschuldigen sich dann dafür, dass sie krank sind und Hilfe brauchen. Nach der Behandlung werden wir oft gefragt, ob man irgendetwas für uns tun kann.“ So hat ein Hartz-IV-Empfänger einen Tag in der Fußgängerzone als Schuhputzer gearbeitet – und den Erlös der Praxis gespendet. Eine andere Patientin hat die Fenster der Praxis gereinigt.

Unter seinen Kollegen hat die Idee der „Praxis ohne Grenzen“ großen Anklang gefunden, 17 Ärzte beteiligen sich mittlerweile ehrenamtlich an dem bundesweit einmaligen Projekt. Acht Basisärzte wechseln sich in den Sprechstunden ab, bei Bedarf werden weitere Fachärzte hinzugezogen. Wer über die rein medizinische Behandlung hinaus Hilfe bei dem Weg in das Sozialversicherungs-system benötigt und wünscht, bekommt sie. Die Praxis ohne Grenzen arbeitet eng mit dem örtlichen Sozialamt und einem Behördenlotsen zusammen, der sich um solche Fragen kümmert.

Doch was passiert, wenn ein Patient ohne Versicherung ernstlich krank ist, im Krankenhaus operiert werden muss? „Wir haben gute Kontakte zu den örtlichen Kliniken. In diesem Netzwerk werden die Patienten behandelt“, sagt Denker.

Weniger erfreulich gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie. Apotheker dürfen nicht benötigte Medikamente, etwa aus Altersheimen, nicht sammeln und spenden. „Die Pharmaindustrie lässt lieber alles, was nicht verkauft werden kann, verbrennen. So gehen Millionenwerte verloren.“ Um den Patienten trotzdem helfen zu können, stellt die „Praxis ohne Grenzen“ Privatrezepte aus, die bisher von der schleswig-holsteinischen Apothekerkammer gezahlt wurden.

Denker hofft, dass die Auszeichnung seinem Verein, der die „Praxis ohne Grenzen“ trägt, hilft. „Geld haben wir nicht. Das brauchen wir für bestimmte Dinge. Für die Miete, für Versicherungen, für Gerätewartungen, für Medikamente beispielsweise.“

Geht es nach Denker, dann entstehen bald überall in Deutschland Praxen, in denen sich Bedürftige – so wie in Bad Segeberg – kostenlos beraten und behandeln lassen können.

Einen Ableger hat die „Praxis ohne Grenzen“ schon: in Stockelsdorf bei Lübeck. Und Denker entwickelt bereits weitere Ideen. „Wir überlegen gerade, eine Patienten-Patenschaft zu ermöglichen. Dabei kann man für einen bestimmten Zeitraum die Kosten für Behandlungen übernehmen.“ Er wäre ein weiterer guter Schritt, einer von so vielen.

Wie lange will der 72-Jährige noch ehrenamtlich helfen? Er wisse es nicht, sagt Denker. „Ich lasse es einfach drauf ankommen. Solange ich mich entsprechend gut fühle und es packen kann, mache ich weiter.“ Corinna Weinert


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren