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22.01.11 / Kollektive Intelligenz untersucht / Gemeinsam klug oder Warum Gruppen Probleme besser lösen als der Einzelne

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-11 vom 22. Januar 2011

Kollektive Intelligenz untersucht
Gemeinsam klug oder Warum Gruppen Probleme besser lösen als der Einzelne

Bei Günther Jauchs Show „Wer wird Millionär“ sitzen meist Kandidaten mit guter Allgemeinbildung auf dem Quizstuhl. Je höher der Schwierigkeitsgrad der Wissensfragen steigt, desto mehr gerät der eine oder andere jedoch ins Grübeln. Eine beliebte Entscheidungshilfe sind die sogenannten Joker.

Studien ergaben, dass die individuellen Telefonjoker nur zu 65 Prozent die korrekte Antwort parat haben, während der Publikumsjoker in 91 Prozent der Fälle richtig liegt.

Der Physiker und Kolumnist Len Fisher liefert in seinem Buch „Schwarmintelligenz“ die Erklärung für solche Phänomene kollektiver Intelligenz. Der gebürtige Australier ist bekannt für seine skurrilen Experimente mit Lebensmitteln und die Verknüpfung von physikalischen, chemischen und biologischen Grundsätzen. Sein Versuch über die optimale Eintunkzeit von Keksen in Tee brachte ihm den satirischen Ig-Nobelpreis (Anti-Nobelpreis) für Physik ein. Fisher überträgt Gesetzmäßigkeiten in Tierschwärmen auf menschliches Alltagsverhalten. Insekten, Fische und Vögel machen vor, wie viele einzelne Akteure auch ohne zentrale Steuerung komplexe Probleme lösen können. Beispiel Ameisenstraße: Ameisen scheiden bei der Nahrungssuche entlang ihres Weges Duftstoffe, sogenannte Pheromone, aus. Mit der Zeit weist der kürzeste Pfad zwischen Futterstelle und Bau die höchste Pheromonkonzentration auf und die meisten Ameisen folgen diesem. Ähnliches beobachteten Forscher bei Studenten auf einem Campus. Anhand der Fußspuren im Schnee passte man im Frühjahr den Verlauf und die Breite der Gehwege an.

Computersimulierte Ameisenkolonien finden zudem in der Verkehrsplanung, Logistik und Personalwirtschaft Anwendung: Etwa um Bus-, Post- und Müllabfuhrrouten festzulegen, Transportzeiten zwischen weit auseinander liegenden Produktionsstätten zu minimieren, Telekommunikationsnetze besser auszulasten oder um den monatlichen Dienstplan von Flugbegleitern und Piloten unter Berücksichtigung von Ruhephasen aufzustellen.

Beispiel Vögel- und Fischschwärme: Dank einfachen Regeln der Selbstorganisation ist der Schwarm elastisch und schützt die einzelnen Tiere vor Angriffen. Alle Mitglieder nehmen intuitiv zueinander einen ähnlichen Abstand ein, ohne sich zu berühren. Zudem bewegen sich alle Individuen in die gleiche Richtung.

Nach denselben Prinzipien bahnt sich ein Menschenstrom seinen Weg: Die Fußgänger laufen dicht beieinander, rempeln einander jedoch nicht an und passen sich in ihrer Laufrichtung an. Mithilfe dieser Grundsätze könnte man ferner Massenpaniken bei Großveranstaltungen wie in Duisburg verhindern. Versuche belegten, dass die Aufpasser eine Gruppe am schnellsten und ohne Gedränge aus einer Arena evakuieren konnten, wenn sie an den Ecken oder in der Mitte der Menschenmasse standen. Liefen die Helfer zielstrebig und unabhängig von der übrigen Gruppe los, folgte ihnen der Rest intuitiv. Auch hier ist die Natur wieder Vorbild. Sobald fünf Prozent der Tiere in einem Schwarm ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen, imitiert die Mehrheit der anderen dieses.

Obwohl Fishers wissenschaftliche Erklärungen häufig abstrakt bleiben, liefert er dennoch viele praktische Hinweise für Problemlösungsstrategien in der Wirtschaft, in der Politik und im Alltag. Der Autor warnt jedoch vor blindem Gruppengehorsam à la Lemminge und rät zu einer Mischung aus Orientierung an der Gruppe und kritischer Eigeninitiative.             Sophia E. Gerber

Len Fisher: „Schwarmintelligenz – Wie einfache Regeln Großes möglich machen“, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2010, 268 Seiten, gebunden, 19,95 Euro


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