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29.01.11 / Die Welt blickt nach Karlsruhe / Bundesverfassungsgericht: Im späten Frühjahr beginnt der Prozess um den Euro

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-11 vom 29. Januar 2011

Die Welt blickt nach Karlsruhe
Bundesverfassungsgericht: Im späten Frühjahr beginnt der Prozess um den Euro

Joachim Starbatty, Prof. (em.) Dr. Dr. h. c. an der Universität Tübingen und Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft im Gespräch mit Hans Heckel.

PAZ: Wie bewerten Sie die neuerliche Auseinandersetzung zwischen Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso? Sperrt sich Merkel wirklich gegen den fortschreitenden Zug in die Transferunion? Oder leistet sie bloß hinhaltenden Widerstand mit Hinblick auf die vielen deutschen Wahlen 2011?

Joachim Starbatty: Die Bundesregierung verfügt in der Europapolitik über keine klare Linie. Sie betont zunächst die stabilitätspolitischen Erfordernisse für einen gesunden Euro, dann erinnert sie an die jeweilige nationale Verantwortung für gesunde Finanzen, um schließlich doch nachzugeben, weil es zum Euro keine Alternative gäbe. Natürlich spielen die Landtagswahlen eine Rolle; aber die Bundesregierung würde sich nicht anders verhalten, wenn es keine Landtagswahlen gäbe. Sie mahnt jetzt ein Gesamtkonzept an. Aber die vorangehenden Erklärungen haben der Öffentlichkeit weis machen wollen, dass es ein solches Konzept gäbe und dass es dazu keine Alternative gäbe. Jetzt gibt sie zu, dass es ein solches Konzept nie gegeben hat.

PAZ: Ihre Klage gegen das Griechenlandrettungspaket wurde der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat zur Stellungnahme vorgelegt. Sind bereits Stellungnahmen erfolgt?

Starbatty: Die vom Bundesverfassungsgericht angeschriebenen Institutionen hatten Frist bis zum 26. November 2010, sich zu den Schriftsätzen der Beschwerdeführer zu äußern. Die Stellungnahme der Europäischen Zentralbank (EZB) ist eine bloße Rechtfertigung der von ihr ergriffenen und befürworteten Maßnahmen – Rettungsschirm und Ankauf von Staatsanleihen –, während die Deutsche Bundesbank die mit diesen Maßnahmen verbundenen Risiken betont: „Eine dauerhafte Auffang­lösung für von Zahlungsschwierigkeiten bedrohte Staaten strapaziert das Grundprinzip der Währungsunion, dass die Mitgliedstaaten für ihre öffentlichen Finanzen selbst verantwortlich sind.“

PAZ: Sind die Stellungnahmen erfolgt, wie geht es mit der Klage dann weiter? Wann rechnen Sie mit Entscheidungen?

Starbatty: Die Beschwerden und die Stellungnahmen werden vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts ausgewertet. Das Gericht wird Beschwerden und Stellungnahmen strukturieren und dann in einer mündlichen Anhörung die Prozessparteien zu den einzelnen Punkten um Vortrag bitten. Es wird kritische Rückfragen des Gerichts geben. Wir rechnen damit, dass der Prozess Ende Frühjahr 2011 eröffnet wird. Allein das ist schon eine Sensation. Denn dann steht der Euro vor Gericht, und die gesamte Weltöffentlichkeit blickt nach Karlsruhe.

PAZ: Schließlich: Welche praktischen Folgen hätte ein Erfolg respektive ein Misserfolg Ihrer Klage?

Starbatty: Wie das Urteil des Gerichts ausfällt, kann niemand vorhersehen. Hier handelt es sich um eine hochpolitische Materie. Auf hoher See und vor Gericht befindet man sich in Gottes Hand, so heißt es ja. Unsere Klägergruppe – Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Karl Albrecht Schachtschneider, Dieter Spethmann und ich – vertraut darauf, dass sich das Gericht der Rechtlichkeit und den Pflichten gegenüber dem Bürger verpflichtet fühlt und sich nicht politischer Opportunität beugt. Es geht in diesem Prozess um drei Problemkreise:

(1) Begrenzung und Kalkulierbarkeit der finanziellen Belastungen aus dem europäischen Rettungsschirm,

(2) Unterbindung des Ankaufs von Staatsanleihen durch die EZB; hierdurch werden nicht Länder, sondern Banken gerettet, die sich in den Schwachwährungsländern engagiert haben,

(3) Sicherung der Souveränität der nationalen Parlamente bei Entscheidungen über finanzielle Engagements für die Schuldnerstaaten; einem finanziellen Automatismus in einen europäischen Schuldensumpf wird das Gericht einen Riegel vorschieben wollen.


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