24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
29.01.11 / Vielfältige Facetten einer anderen Welt / Eine Ausstellung in München beleuchtet den Orientalismus in der europäischen Kunst

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-11 vom 29. Januar 2011

Vielfältige Facetten einer anderen Welt
Eine Ausstellung in München beleuchtet den Orientalismus in der europäischen Kunst

Mit dem Orient verbindet der Europäer heute Begriffe wie Islamisten und Selbstmordattentäter, er denkt an Frauen, die eine Burka oder einen Tschador tragen müssen. Nur wenig ist geblieben von der Faszination, die einst vom Orient ausging und Reisende wie auch Maler in ihren Bann zog. Eine Ausstellung in München will dieses Bild wieder herstellen.

Rund 150 Gemälde und Skulpturen machen die vielfältigen Auseinandersetzungen von fast 100 westeuropäischen Künstlern mit dem islamischen Orient, Nordafrika und dem Nahen Osten deutlich. Das Projekt mit dem Titel „Orientalismus in Europa: Von Delacroix bis Kandinsky“ beginnt beim Ägyptenfeldzug Napoleons (1798–1801) und führt bis hin zur Moderne des frühen 20. Jahrhunderts. Mit der französischen Armee reisten 167 Forscher und Künstler, die einen neuen Orientalismus in der Kunst auslösten. „Viele Künstler reisen nun als offizielle Gesandte westlicher Regierungen oder auf eigene Initiative an die verschiedensten Originalschauplätze, um die als ursprünglich empfundenen Kulturen zu dokumentieren. Manche lassen sich sogar dauerhaft dort nieder. Ihre Gemälde und Fotografien fördern ihrerseits weiteren Tourismus und prägen ein ganz bestimmtes Bild des Orients“, erläutern die Ausstellungsmacher.

Sinnliche Freuden aus 1001 Nacht mit erotischen Phantasie-Darstellungen aus dem Harem faszinieren ebenso wie die Emotionalität einer bislang als bedrohlich empfundenen „barbarischen“ Kultur. Viele Künstler sind auch auf der Suche nach den Wurzeln der Zivilisation. Sie suchen ursprüngliche Landschaften aus der Zeit Jesu Christi, um sie in historischen und biblischen Gemälden realistischer darstellen zu können. Aber auch die Künstler der Moderne waren fasziniert von dieser so anderen Welt. Sie entwickelten gar eine neue Bildsprache, um sie darzustellen.

Neben den bekannten Meistern wie Delacroix, Renoir, Klee und Kandinsky sind in der Ausstellung auch Maler vertreten, deren Namen nicht so geläufig sind. Wilhelm Gentz etwa, der 1822 in Neuruppin geboren wurde. Schon als Kind fühlte er sich zur Kunst hingezogen. „Von früh an war ich geschickt zu allerhand Handarbeiten und saß gern in den Zimmerecken umher, um Silhouetten aus schwarzem Papier auszuschneiden. Das Zeichnen und Austuschen spielte bei uns Geschwistern eine große Rolle“, schrieb Gentz in seinen Erinnerungen. Auch ferne Länder faszinierten den Knaben. „Meine Hauptlektüre bestand damals in Reisebeschreibungen“, so Gentz. „Als Quartaner las ich viel über Ägypten, infolgedessen ich meiner Mutter auf ihre Frage, was ich werden wollte, zuversichtlich erklärte, dass ich vorhätte, nach Kairo zu gehen und die Pyramiden zu erforschen. Ja, ich fing an, Geld zu sparen, um seiner Zeit die Reise beginnen zu können.“

Zunächst aber studierte er Kunst in Antwerpen und Paris und reiste 1847 nach Spanien und nach Marokko. Drei Jahre später ging er nach Ägypten und auf den Sinai. In Berlin, wo er sich 1852 vorübergehend aufhielt, entstanden seine ersten Bilder mit orientalischen Motiven. Nach einem erneuten Aufenthalt in Paris zog es ihn dann doch wieder nach Berlin. Dort schuf er schließlich die meisten seiner orientalischen Bilder, die auch auf den Großen Ausstellungen der Berliner Kunstakademie viel Beifall fanden.

Auf der Münchner Ausstellung ist von Wilhelm Gentz „Der Einzug des Kronprinzen von Preußen in Jerusalem 1869“ zu sehen. Gemeint ist der spätere „99-Tage-Kaiser“ Friedrich III., der auf der Durchreise zur Eröffnung des Suezkanals war.

Zur Vorbereitung für das Bild reiste Gentz 1873 im Auftrag des preußischen Kronprinzen nach Jerusalem, um vor Ort Eindrücke zu sammeln. Das Gemälde erhielt auf der Großen Akademischen Ausstellung in Berlin die große Goldmedaille, in München die kleine Silbermedaille. Von 1874 bis zu seinem Tod 1890 war Gentz Mitglied der Königlichen Akademie der Künste in Berlin. 1881 ernannte ihn Kaiser Wilhelm I. zum Professor. Der Maler wurde besonders als Kolorist geschätzt, der mit großer Meisterschaft das Sonnenlicht auf die Leinwand zu bannen wusste. Wilhelm Gentz starb 1890 in Berlin.

„Es ist eine Herausforderung, sich in die Wahrnehmung der Zeitgenossen dieser Kunstwerke einzufühlen und den Intentionen ihrer Schöpfer nachzuspüren, besonders weil wir gegenwärtig wieder einer ähnlichen Situation gegenüberstehen: In unserer globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts prallen Ost und West mit ihren unterschiedlichen Wertvorstellungen noch immer aufeinander“, so die Ausstellungsmacher. „Eine Ausstellung, die den Blick des Westens auf den Orient dokumentiert, zeigt also nicht nur wunderbare Kunstwerke, sondern auch die Geschichte von Konflikten und Projektionen. Es wäre ein Erfolg, wenn die Ausstellung vielfältigere Facetten dieser Thematik sichtbar machen würde, um heutige Positionen verständlicher werden zu lassen.“        Silke Osman

Die Ausstellung ist vom 28. Januar bis 1. Mai in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8, München, täglich von

10 bis 20 Uhr zu sehen. Im Anschluss geht die Schau nach Marseille, wo sie vom 27. Mai bis 28. August im Centre de la Vieille Charité gezeigt werden wird.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren