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29.01.11 / Ein unfreiwilliger Aufenthalt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-11 vom 29. Januar 2011

Ein unfreiwilliger Aufenthalt
von Albert Loesnau

Johann Gebhardt hatte es eilig. Er hatte es immer eilig, wenn er unterwegs war. Deshalb blickte er ungehalten auf den Tachometer, als der Wagen an Geschwindigkeit verlor. Auch der verstärkte Druck aufs Gaspedal nutzte nichts. Der Motor starb langsam aber stetig ab. Ein Blick auf die Benzinuhr: Der Zeiger stand auf Null!

Johann Gebhardt ließ den Wagen am Straßenrand ausrollen. Nervös sah er auf die Armbanduhr und stieg aus. Als er den Kofferraum öffnete, suchte er vergeblich nach dem Reservekanister. Damit bestätigte sich wieder einmal, dass man sich auf niemand verlassen konnte. Nicht einmal auf die eigene Frau. Gestern hatte er Marianne den Wagen zum Einkaufen überlassen. Um mehr Platz zu haben, hatte sie den Kanister herausgenommen und in der Garage stehen gelassen.

Wütend schlug Johann den Deckel zu. Da stand er nun auf einer einsamen Landstraße, die er als Ausweichstrecke zur überlasteten Autobahn genommen hatte und ärgerte sich darüber, dass der vereinbarte Termin mit seinem Geschäftspartner durch Mariannes Gedankenlosigkeit zu scheitern drohte.

Johann war kein junger Mann mehr. Dennoch fühlte er sich in den besten Jahren. Gewiss, sein Arzt hatte ihm geraten, etwas langsamer zu treten und sich über belanglose Dinge nicht aufzuregen. Dabei sprach er eine wohlwollende Mahnung aus: „Sie beanspruchen sich zu sehr und nehmen alles viel zu wichtig. Spannen Sie doch mal aus … lassen Sie die Zügel schleifen … vieles regelt sich auch von selbst…“

Herr Gebhardt hatte zu diesen Worten nur unmerklich gelächelt. „Doktor, Sie vergessen, dass von mir ein großer Betrieb lebt“, hielt er dagegen. „Ich kann nicht einfach die Hände in den Schoß legen. Ohne mich geht es einfach nicht …“

Das unmerkliche Kopfschütteln des Arztes hatte Johann geflissentlich übersehen. Er achtete grundsätzlich nur selten auf die Meinung anderer Menschen.

Kurz entschlossen nahm er die Autokarte aus dem Handschuhfach. Der letzte Ort lag fünf Kilometer hinter ihm – bis zum nächsten waren es knapp zwei Kilometer. Dort würde es sicherlich eine Tankstelle geben.

 Gebhardt schloss den Wagen ab und marschierte die Landstraße entlang. Er spürte den frischen Wind, der über die Felder wehte. Helles Sonnenlicht fiel auf herbstlich gefärbtes Laub eines nahen Waldes. Und während Gebhard weiterging, bemerkte er die wohltuende Ruhe, die ihn umgab. Einem Autofahrer, der ihn mitnehmen wollte, winkte er freundlich ab. Sein Ärger war verflogen und gelassener Ausgeglichenheit gewichen.

Hinter dem Waldrand tauchte der Kirchturm des nahen Dorfes auf. Doch als Johann sich dort umsah, stellte er fest, dass es keine Tankstelle gab. Aber der Wirt des einzigen Gasthauses im Ort erwies sich als überaus freundlich und hilfsbereit. Er brachte den gestrandeten Autofahrer mit seinem Motorrad und einem Kanister Benzin zu seinem Wagen zurück.

Wenig später rief Johann vom Gasthaus aus seinen Geschäftspartner an. Dabei stellte sich heraus, dass der vereinbarte Termin sowieso nicht eingehalten werden konnte, weil der andere an einer Grippe erkrankt war.

Gut gelaunt kehrte Gebhardt in die Gaststube zurück, in der es nach frisch gescheuerten Dielen und Holzfeuer roch. Der Wirt kniete vor dem Kachelofen, durch dessen eiserne Tür dünne Rauchfäden drangen. „Es ist jedes Jahr das gleiche“, meinte der grauhaarige Mann scherzhaft. „Im Sommer kommt er immer ein bisschen aus der Übung und will nicht so richtig brennen. Man muss ein wenig Geduld mit so einem alten Ofen haben.“

Johann Gebhardt gab dem Wirt belustigt Recht. Er setzte sich ans Fenster der Gaststube und bestellte zum Mittagessen ein Gericht, das er lange nicht mehr gegessen hatte: Gebratene Leber mit Apfelringen belegt, über die ein Berg braun gerösteter Zwiebelringe gehäuft war.

Andere Gäste kamen herein und nahmen auch an Johanns Tisch Platz. Es entstand eine zwanglose Unterhaltung, die sich hauptsächlich um die Ereignisse in dieser ländlichen Gegend drehte. Interessiert hörte Gebhardt zu, während er gemächlich ein Glas Wein trank.

Dabei wurde ihm zum ersten Mal bewusst, was es bedeutete, nicht immer von einem Termin zum anderen zu hetzen, sondern sich Zeit für eine Ruhepause zu gönnen.

In heiterer Stimmung verabschiedete sich Johann Gebhardt von dem hilfsbereiten Wirt, der sich inzwischen mit dem störrischen Kachelofen geeinigt hatte. Vor dem Gasthaus blieb er am Wagen stehen und sah sich noch einmal um. Der Blick ging über die Felder bis zu den hoch aufragenden Bergen hinüber.

 Entspannt setzte Johann sich ans Steuer, ohne sofort zu starten. Nachdenklich hielt er den Zündschlüssel in der Hand. Der müßig verbrachte Nachmittag erinnerte ihn an eine geschwänzte Schulstunde in seiner Jugendzeit. Ein verlockendes Abenteuer, das man nur mit einer glaubhaft klingenden Ausrede riskieren durfte.


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