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29.01.11 / Das »verzauberte Schloss« wurde geknackt / Der Atlas des Ptolemaios wurde teilweise entschlüsselt – Das Ergebnis: Mitteleuropa-Landkarten um 150 n. Chr

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-11 vom 29. Januar 2011

Das »verzauberte Schloss« wurde geknackt
Der Atlas des Ptolemaios wurde teilweise entschlüsselt – Das Ergebnis: Mitteleuropa-Landkarten um 150 n. Chr

Ende September überraschte der „Spiegel“ mit der Nachricht, es sei gelungen, eine Landkarte des antiken Germaniens, also quasi eine Deutschlandkarte des 2. Jahrhunderts nach Christus, zu rekonstruieren. Hintergrund der aufsehenerregenden Meldung war die Arbeit eines Teams von vier Wissenschaftlern an der TU Berlin. Mehrere Jahre arbeiteten sie mit mo-dernsten Methoden daran, eines der großen Rätsel in der antiken Literatur zu lösen.

Der griechische Mathematiker und Geograph Klaudios Ptolemaios (traditionell meist Claudius Ptolemäus geschrieben) hat in seiner um 150 n. Chr. in Alexandria verfassten „Geographike Hyphegesis“ (kurz „Geographie“) für nicht weniger als 6300 Orte der damals bekannten Welt, fein säuberlich eingeteilt in 84 Länder und Regionen, geographische Koordinaten erfasst. Etliches bezieht sich auf Regionen im Mittelmeerraum, über die wir für diese Zeit ohnehin gut informiert sind. Umso spannender sind seine Angaben für solche Regionen, über die aus anderen Quellen sehr wenig oder nichts bekannt ist.

Dazu gehört natürlich das sogenannte „freie Germanien“, also der nördlich des Limes gelegene Landesteil, den die Römer nie ganz unterworfen hatten.  Für diesen Raum nennt Ptolemaios rund 125 Orte mitsamt Koordinaten (dazu ein paar weitere südlich des Limes), und seit jeher ist das Interesse an der Lokalisierung und Identifizierung dieser Siedlungen, Flussmündungen, Gebirge und Inseln enorm: Wo lagen damals die wichtigen Städte und Bevölkerungszentren, wo verliefen alte Fernhandelswege, welche erst viel später erwähnte Stadt hat  antike Wurzeln?

Doch auch wenn die Angaben bei Ptolemaios im Prinzip klar sind, ist es leider unmöglich, die Koordinaten kurzerhand auf einer Landkarte abzutragen. Es beginnt mit offenkundigen Fehlern bei Ptolemaios selbst. Seines Wissens floss beispielsweise der Rhein gerade von Süden nach Norden. Dass der Strom in zwei Abschnitten in Ost-West-Richtung fließt, war dem Griechen nicht bekannt. Etliche weitere Fehler dieses Gewichts bereits im Original sind gesichert, dazu kommen erkennbare Messfehler und Fehler in der Überlieferung der Zahlenreihen.

Diese Probleme sind der Grund, warum man nicht einfach anhand der Koordinaten sicher bekannter Orte – etwa der antiken Städte an Rhein und Donau – auf die Lage der nur bei Ptolemaios genannten Orte schließen kann. Doch offenkundig enthält das antike Werk trotz aller Schwächen einen substanziellen und soliden „Datenkern“. Am Versuch, ihn zu entschlüsseln, haben sich Generationen von Historikern, Geodäten, Archäologen und Ortsnamenforschern die Zähne ausgebissen – vom „verzauberten Schloss“ ist in der Literatur die Rede.

Es verdient Respekt, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) nun einen weiteren Anlauf ermöglicht hat, dieses Schloss zu knacken. Die Studie, die ein Team am Institut für Geodäsie und Geoinformationstechnik der Technischen Universität Berlin unter Leitung von Dieter Lelgemann unlängst vorgelegt hat, ist eindrucksvoll und gewiss ein großer Fortschritt im Verständnis der „Geographie“ des Ptolemaios.

Kern der Argumentation ist, dass es in den Daten – von Region zu Region unterschiedliche – systematische Verzerrungen gibt, die sich bestimmen und korrigieren lassen. Mit dieser Methode kommt man zu plausiblen Lokalisierungen für Dutzende bislang rätselhafter Orte. Beispielsweise bezeichnet Ptolemaios die drei Städte „Amisia“, „Luppia“ und „Eburodunum“ als besonders bedeutend in Germanien, aber niemand wusste bislang, wo sie liegen. Die These der Autoren, dass es sich dabei um untergegangene Siedlungen bei Geismar in Hessen, bei Bernburg an der Saale und um die Stadt Brünn handeln dürfte, ist sorgfältig begründet und berücksichtigt Forschungen anderer Disziplinen; sie kann in Zukunft durch Bodenforschungen überprüft werden. Ähnliches gilt für die sehr plausible Rekonstruktion einer alten Route der Bernsteinstraße von der Weichselmündung bei Danzig über Bromberg und Kalisch quer durch das heutige Oberschlesien und Mähren bis zur Donau. Auch die Identifizierung der legendären Insel „Thule“ mit der Insel Smölen (Smøla) bei Trondheim in Norwegen wirkt überzeugend.

Dass viele Lokalisierungen unsicher bleiben, schmälert den Wert der Arbeit nicht. Zu ihren Stärken gehört die sorgfältige Berücksichtigung der bereits vorliegenden Literatur und die argumentative Klarheit des mit 131 Seiten erfreulich knapp gefassten Werkes, das dadurch auch für interessierte Laien verständlich und sehr lesenswert ist. Die Arbeit kann anderen Disziplinen, insbesondere der Archäologie und der Ortsnamenforschung, wertvolle Impulse geben. Man würde sich wünschen, dass Institutionen wie die DFG in diesem Bereich weitere Projekte fördern.       

            Konrad Badenheuer

Andreas Kleineberg, Christian Marx, Eberhard Knobloch, Dieter Lelgemann: „Germania und die Insel Thule – Die Entschlüsselung von Ptolemaios‘ ,Atlas der Oikumene‘“, WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt, 2010, gebunden, 131 Seiten, 29,90 Euro


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