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05.02.11 / Ein Aufstand des gesamten Volkes / Die Ereignisse in Ägypten zeigen, dass der Westen meist auf die Falschen setzt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-11 vom 05. Februar 2011

Ein Aufstand des gesamten Volkes
Die Ereignisse in Ägypten zeigen, dass der Westen meist auf die Falschen setzt

Das Schlagwort von der „Eigendynamik“ war selten so zutreffend wie auf die Ereignisse am 28. Januar. Zwar hatte es schon mehrere Tage davor Demonstrationen und Zusammenstöße gegeben. Aber kein Ägypter und kein Ägyptenkenner hätte in Anbetracht des an sich gutmütigen Volkscharakters erwartet, dass die Proteste nach den Freitagsgebeten innerhalb weniger Stunden zu einem spontanen, führungslosen Volksaufstand werden könnten, der durch Brutalität und Schusswaffengebrauch der verhassten Polizei erst richtig angeheizt wurde.

Parolen und Transparente waren gegen das Regime gerichtet, nicht für eine Partei oder Person. Und es beteiligten sich alle Bevölkerungsgruppen: Erstmals auch die junge, gebildete Mittelschicht, die über die Abschaltung von Internet und Mobil-Telefon besonders erzürnt war. Auch koptische Christen, die längst von der unterwürfigen Haltung ihres Oberhauptes gegenüber dem Regime enttäuscht sind. Natürlich vor allem junge Menschen – nicht nur der demographischen Struktur Ägyptens entsprechend, sondern auch weil sie am meisten von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Und sicher waren auch Anhänger der Muslim-Bruderschaft dabei, erkenntlich an Männern mit dem typischen Pigmentfleck auf der Stirn, der durch die häufige Bodenberührung beim Gebet entsteht. Eine richtig von der Bruderschaft organisierte Demonstration gab es dann erst am vergangenen Montag in einem Vorort Kairos.

Bedeutsam war wieder einmal die Rolle des Fernsehens. Al-Dschasira hatte mehrere Teams in Kairo, Suez und Alexandria und zeigte laufend die dramatischen Szenen, die „live“ sogar von den iranischen Kanälen übernommen wurden – wenngleich mit Umdeutung zu einer islamischen Erhebung. Al-Dschasira zeigte am Freitag den Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei in der belagerten Moschee, übertrug am Sonnabend ein Interview, in dem er ein Ende des Regimes forderte, und am Sonntagabend seine Rede auf dem zentralen Tahrir-Platz. Das Regime reagierte zunächst mit Abschaltung der Übertragungsleitung von Al-Dschasira, dann sogar mit Beschlagnahme von Ausrüstung und Verhaftung von Mitarbeitern.

Nach dem blutigen Freitag war zwei Tage lang keine Polizei zu sehen. Es kam zu Plünderungen, welche die Regierung der Muslim-Bruderschaft anlastet. Tatsache ist, dass tausende Sträflinge teils von der Polizei freigelassen wurden, um Unruhe zu stiften, teils ausbrechen konnten. Lokale Selbstschutzgruppen versuchen seither, Einbrüche und Vandalismus zu verhindern, hinter denen laut glaubhaften Berichten auch Polizisten in Zivil stecken. Die Armee ist nur an wichtigen Stellen präsent, aber schon bei ihrem ersten Erscheinen am Sonnabend zeichnete sich ab, dass sie kaum auf die Bevölkerung schießen – und letztlich die entscheidende Rolle im Machtkampf spielen würde.

Die Oppositionsgruppen haben sich auf Bildung eines Komitees mit ElBaradei als Sprecher geeinigt. Aber nicht alle Teile der Muslim-Bruderschaft, die eine Basis-Organisation ohne straffe Befehlsstruktur ist, sind mit ElBaradei einverstanden. Dass Präsident Mubarak am Sonntag ein neues Kabinett ernannte und der neue Premierminister versprach, mit der Opposition zu verhandeln, kann den Volkszorn aber nicht besänftigen: Kernforderung ist ja die Entfernung Mubaraks, und die „Neuen“ sind durchwegs alte Mitarbeiter Mubaraks – die führenden Personen werden zudem in der enthüllten amerikanischen Diplomatenpost gelobt. Westliche Politiker haben jedenfalls mit ihren kläglichen Erklärungen und dann dem Zurückrudern, ohne aber Mubarak aufzugeben, wieder einmal zur Verschärfung der Lage beigetragen und die radikalen Kräfte in der Region gestärkt. Richard G. Kerschhofer


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