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05.02.11 / Schule unter Segeln – warum? / »Segelschiffausbildung vermittelt elementarste Seemannschaft und formt die Persönlichkeit«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-11 vom 05. Februar 2011

Schule unter Segeln – warum?
»Segelschiffausbildung vermittelt elementarste Seemannschaft und formt die Persönlichkeit«

Michael Koch (50) ist aktiver Marineoffizier und wurde vor 30 Jahren auf der „Gorch Fock“ ausgebildet. In seiner Freizeit fährt der Inhaber eines zivilen Kapitänspatents für Traditionssegelschiffe als Steuermann auf der Brigg „Roald Amundsen“. Das Interview führte Jan Heitmann.

PAZ: Welche Erinnerung haben Sie an Ihre Zeit auf der „Gorch Fock“?

Michael Koch: Auf diesem Schiff sind mir meine Seebeine gewachsen. Nach zwei Wochen Vorausbildung sind wir von Kiel über Lissabon nach Vigo in Spanien und zurück gefahren. Die Reise war eine große Herausforderung und ein riesiges Abenteuer. Alles war ungewohnt und beim ersten Aufentern hatte ich schlichtweg Angst. Aber wir wurden dann Schritt für Schritt an alles Weitere herangeführt. Es war eine Mischung aus fordernder Offizierausbildung und Seefahrerromantik mit harter Arbeit und wenig Schlaf. Mus­keln und Hornhaut mussten mir erst wachsen. Ich habe sehr gute Kameradschaft und einen hervorragenden Crewgeist erlebt und tiefen Respekt bis hin zur Demut vor den Elementen gelernt. Ich habe das Schiff geliebt und als die Fahrt zu Ende war, war ich traurig.

PAZ: Wird nur der ein guter Schiffsoffizier, dem die Seebeine auf einem Segler gewachsen sind?

Koch: Eine Segelschiffausbildung halte ich nicht für zwingend erforderlich, aber für wünschenswert. Ausbildungsziel ist ja seemännisches Geschick und nautisches Grundverständnis. Auf einem Segelschiff lernt man traditionelle Seemannschaft auf elementarste Weise. Man arbeitet mit Leinen und Tampen, ist Wind und Wetter und den Launen der See ausgesetzt. Nur hier lernt man wirklich, sich nicht auf Technik zu verlassen, sondern Furcht zu überwinden und seinen eigenen und den Fähigkeiten der anderen zu vertrauen. Die Zeit auf einem Segler ist wie ein Blick in den Spiegel. Man lernt viel über sich selbst und entdeckt eigene Fähigkeiten, die man vorher nicht einmal erahnt hat. Dieses Erlebnis formt die eigene Persönlichkeit ungeheuer. Deshalb fahren Menschen aus allen Berufsgruppen als sogenannte Trainees auf der „Roald Amundsen“.

PAZ: Was unterscheidet die Ausbildung auf einem Schulschiff der Marine von der auf einem zivilen Großsegler?

Koch: Die Kadetten auf einem Marineschulschiff sind Soldaten und daher durch ein besonderes Rechtsverhältnis an den Betreiber des Schiffes gebunden. Hier geht es neben dem seemännischen Ausbildungsziel auch um militärische Inhalte und nicht zuletzt um Disziplin im Sinne von Befehl und Gehorsam. Unabhängig vom Status des Schiffes und den Auszubildenden ist die Einordnung des Individuums ganz wichtig, damit es Teil eines Ganzen wird.

PAZ: Ist der Ton auf einem Segelschulschiff zwangsläufig rauer?

Koch: Überhaupt nicht. Der Ton, den ein Ausbilder anschlägt, hat weniger mit dem Ort als mit dem Charakter zu tun. Eine empathische und die Auszubildenden wertschätzende Persönlichkeit braucht keinen rauen Ton, um respektiert zu werden, zu Leistungen anzuspornen und so eine gute Crew zu formen. Weisungen müssen natürlich unbedingt befolgt werden. Das gilt auf jedem Schiff der Welt. Kommandos müssen klar und eindeutig sein. Deshalb werden sie auf einem Segler immer laut gegeben, damit sie auch im Sturm verständlich sind.

PAZ: Kommt es auch auf zivilen Großseglern regelmäßig zu Unfällen?

Koch: Natürlich. Unfälle gehören leider zur Seefahrt. Sie lassen sich trotz aller Sicherheitsvorkehrungen nie ganz ausschließen. Technik kann versagen und auch Menschen können versagen. Entscheidend ist, dass alles zur Unfallverhütung getan wird. Für die „Roald Amundsen“ beispielsweise gelten ganz hohe nationale und internationale Sicherheitsstandards. Hier hat die Sicherheitsausbildung einen hohen Stellenwert, und Sicherheit geht immer vor Schnelligkeit. Unsere Trainees werden schrittweise an ihre Aufgaben herangeführt und haben dabei immer einen Ausbilder an ihrer Seite. Sie müssen alle Ausbildungsnachweise mehrfach erbringen, bevor sie in die Stammcrew übernommen werden und dort in der Hierarchie aufsteigen können.

PAZ: Welchen Sinn hat eine Äquatortaufe?

Koch: Sie ist ein überliefertes Ritual und hängt mit dem Aberglauben der Seeleute zusammen. Sie stammt noch aus der Zeit der großen Entdeckungsreisen, als man glaubte, eine Reise in die südliche Hemisphäre müsse unweigerlich tödlich verlaufen. Durch die Taufprozedur beweist der Seemann seinen Mut und seine Gläubigkeit und wird dafür von einem als Neptun verkleideten Seemann „gereinigt“. Heute hat die Taufe keinen tieferen Sinn mehr. Sie dient nur noch der Unterhaltung und gehört einfach dazu. Jeder lässt sie über sich ergehen, auch wenn sie freiwillig und nicht immer angenehm ist.

PAZ: Warum stellen sich Menschen heute den Entbehrungen und Härten der Segelschiffausbildung?

Koch: Für die einen ist sie Teil ihrer Berufsausbildung und damit obligatorisch. Unsere Trainees dagegen kommen freiwillig, um traditionelle Seemannschaft zu erlernen, handwerkliche und soziale Kompetenz zu erwerben und natürlich um Spaß zu haben. Seefahrt auf einem Segler ist immer noch sinnvoll, ein großes Abenteuer und Vergnügen.


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