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12.02.11 / Keimzelle der Linken / Hausbesetzungen begannen 1970 in Frankfurt am Main

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-11 vom 12. Februar 2011

Keimzelle der Linken
Hausbesetzungen begannen 1970 in Frankfurt am Main

Studenten, Gastarbeiter und Obdachlose gehen im September 1970 in der Eppsteiner Straße 47 in Frankfurt mit der ersten Hausbesetzung in die Geschichte der Bundesrepublik ein. Im Oktober folgt die zweite.

Die SPD-regierte Bankenkapitale benötigt dringend neue Geschäftsräume. Die Stadt plant in den 60er Jahren, die Hauptverkehrsachsen durchs innenstadtnahe Westend intensiv neu zu bebauen. Grundstückspreise steigen, Spekulation setzt ein.

Die Verdrängung alteingesessener Mieter und der anschließende Abriss manch intakter Häuser rufen wachsenden Protest hervor. Bezahlbare Wohnungen bleiben derweil gefragt. Viele Bauten stehen bald dauerhaft leer – bis zu 30 gleichzeitig. Studenten besetzen die dem Verfall preisgegebenen Häuser: „Wir fordern von der Uni Wohnraum!“ Anwohner und Studenten werfen den Besitzern vor, das Viertel gezielt zum Abrissquartier verkommen zu lassen und Druck auf Mieter auszuüben, um ganze Straßenzüge für Bürohochhäuser einzuebnen. Der „Frankfurter Häuserkampf“ und „Mietstreiks“ brechen aus.

Ein gewaltbereiter Teil der aufkeimenden linken Szene springt auf den Protestzug auf. Eine Räumung im Herbst 1971 endet in einer Straßenschlacht. Militanter Flügel der Besetzer ist die „Putztruppe“, in welcher der spätere Außenminister Josef „Joschka“ Fischer (Grüne) eine zentrale Rolle spielt. Gewalt gegen Polizisten und Hass gegen gerade ihr Grundeigentumsrecht erstreitende jüdische Alteigentümer sind die dunklen Seiten der Häuserkämpfe.

Der Aufruhr erreicht seinen Höhepunkt erst, als friedliche  bürgerliche Protestbewegungen die Zweckentfremdung von Wohnraum längst gebremst haben, der eigentliche Grund für das Aufbegehren also schwindet. Die Stadt lenkt mit einer Doppelstrategie ein: keine Duldung weiterer Besetzungen (Räumung), zugleich Vorgehen gegen Spekulanten. Doch die Gewalt geht bis Mitte der 70er Jahre weiter. Radikale feuern sie an.

Die Frankfurter Szene bildet eine Keimzelle der extremen Linken. Aus ihr rekrutiert die terroristische RAF Anhänger. Andrea Wolf, Aktivistin aus dem Umfeld der RAF, organisiert noch in den 80er Jahren Hausbesetzungen.  Die RAF sucht kurz vorm eigenen Ende in den 90ern wieder Anschluss an die Hausbesetzerszene. Doch die Zeit gemeinsamer Feindbilder ist vorbei. Das West-end ist längst mit dem Bankenviertel verschmolzen.

Die dortige Besetzer-Bilanz ist Vorbild heutiger Aktionen. Die einstigen Besetzer jedoch sind heute Besitzer, wenn nicht der Häuser, so zumindest steiler Karrieren. Viele sitzen an der Spitze regionaler Institutionen: Ein Theaterleiter, ein Umweltdezernent und ein Stadtkämmerer sind darunter. Doch die Besetzungen gehen weiter: 2008 traf es ein Jugendzentrum, aktuell dient die Stadt dessen Besetzern ein ausrangiertes Gefängnis an, getreu deren Motto. Frankfurt plant nicht, dafür Miete zu verlangen – „höchstens symbolisch“.           SV


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