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19.02.11 / Verstopfte Hochspannung / Brandenburg produziert viel Strom, kann ihn aber nicht liefern – Bald Stromausfälle in Berlin?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-11 vom 19. Februar 2011

Verstopfte Hochspannung
Brandenburg produziert viel Strom, kann ihn aber nicht liefern – Bald Stromausfälle in Berlin?

Windräder durchlöchern den Himmel über Brandenburg. Die Mark ist Spitze bei den „Erneuerbaren Energien“. Doch ein veraltetes, zu kleines Stromnetz könnte den Boom bald in einen Albtraum verwandeln. Es drohen Stromausfälle, auch in Berlin.

Brandenburg darf sich Vorreiter bei den „Erneuerbaren Energien“ nennen. Im Dezember verlieh die Bundesregierung über die „Agentur für Erneuerbare Energien“ der Mark zum zweiten Mal in Folge die Auszeichnung „Leitstern“. Die Wind- wie die Solarenergiebranche freuen sich über Brandenburgs alternativ orientierte Energiestrategie. Mit der beschert die Landesregierung beiden eine starke Nachfrage. Doch das Stromnetz bleibt hinter dem ehrgeizigen Gesamtplan zurück. Die nun reichlich spät geplanten neuen Überlandleitungen stoßen zudem auf heftigen Widerstand.

Die deutschen Stromleitungen halten mit den Anforderungen der neuen Energiepolitik nicht mit: Rund 4000 Kilometer neue Leitungen seien bis 2020 nötig, so die Bundesnetzagentur. Das Bundeswirtschaftsministerium warnt vor deutlichen Störungen im  Stromnetz. Fehlende Überlandleitungen, unter anderem bedingt durch den Widerstand der Bevölkerung, seien die Ursache. Die EU will gegensteuern und 200 Milliarden Euro für den europaweiten Netzausbau ausgeben.

Energiekonzerne fragen sich derweil, woher sie das Geld für neue Netze nehmen sollen. Konferenzen zum Thema sind rege besucht. Dort treffen sich die führenden Manager der Energiekonzerne. Die Auswirkungen der Krise auf den Kreditmarkt lassen sie nach neuen Finanzierungswegen Ausschau halten.

In Brandenburg ist die Lage noch etwas angespannter als im Rest der Republik. Hier stellt schon der Erhalt der bestehenden Leitungen eine Herausforderung dar. Sie sind alt und passen nicht ins Raster der „Energiestrategie 2020“, mit der die Landesregierung vor allem auf alternative Kraftquellen setzt. Lokale Experten schätzen, dass bis 2020 rund 1000 Kilometer 110-Kilovolt-Leitungen und gut 400 Kilometer 380-Kilovolt-Leitungen in der Mark gebaut werden müssen. Versäumt Brandenburg die Investition, drohen demnach auch Berlin langfristig Stromausfälle, so die Warnung. Sollte der Ernstfall eintreten, wäre es nicht einmal mehr möglich, das Netz schnell wieder hochzufahren.

Dem Netz-Ausbau kommt in Zeiten moderner Informationstechnologie als Standortfaktor generell eine Schlüsselrolle für die wirtschaftliche Entwicklung Brandenburgs zu. Schon jetzt hemmt das unterentwickelte Telekommunikationsnetz die Standortentwick­lung. Brandenburgs Internet-Verbindungen sind vergleichsweise langsam. Grund: Der grundlegende Netzausbau blieb auch in diesem Bereich zurück.

Die noch von der alten rot-schwarzen Landesregierung 2008 beschlossenen ehrgeizigen Energiepläne und der „Maßnahmenkatalog zum Klimaschutz“ stehen und fallen jedenfalls mit dem Ausbau des Stromnetzes. In der Südbrandenburger Region um Luckau und Senftenberg stehen bereits viele Windräder, deren Strom abtransportiert werden muss. Doch die Energieversorger klagen seit Jahren über Netz-Engpässe. Das Netz verkraftet die wetterabhängigen, teils starken Einspeisungen nur dank technischer   Tricks. Diese werden an immer mehr Tagen im Jahr nötig, sagen Experten der Universität Cottbus.

Um die Lage zumindest etwas zu entschärfen, sanierte das Land nun eigentlich zum Abriss vorgesehene Leitungen aus den Zeiten der Kohle-Verstromung. Das Problem der Aufnahmekapazität bleibt aber bestehen, bis moderne Leitungen in den neuen Stromerzeugungsgebieten entstehen. Bis dahin hält teils nur aufwändige Computertechnik das Netz betriebsfähig.

Wenn Brandenburg 2020 allein rund 7500 Megawatt Windenergie erzeugen und auch nutzen will, bedarf es dringend neuer Leitungen. Die Regierung lenkt nun mit der Planung neuer Großtrassen ein. In der Uckermark will der Vattenfall-Konzern eine 380-Kilovolt-Leitung von 115 Kilometern Länge errichten. Sie ist für die Versorgung Berlins mit Strom aus Windkraft und Biomasse bestimmt. An dem Beispiel zeigt sich, wie lang der Weg von der Planung zur Fertigstellung ist: Der Baubeginn verzögert sich, denn die Region steht „unter Hochspannung“, so lokale Zeitungen. Mehrere Bürgerinitiativen und Bewohner der angrenzenden Dörfer wollen das Projekt verhindern. Ihnen missfällt die rund 70 Meter breite Schneise. Die Leitung führt auch durch das Naturschutzgebiet Schorfheide. Die Anlieger fordern Erdleitungen statt der 50 Meter hoch geführten Freileitung.

FDP und Grüne greifen jetzt die Forderung im Landtag auf. Mit einem Gesetzentwurf setzen sie die rot-rote Landesregierung unter Druck: 110-Kilovolt-Leitungen sollen nur noch unterirdisch verlegt werden, nahe Wohngebieten sollen selbst noch leistungsstärkere Leitungen unter die Erde. Solche Erdleitungen sind um ein Mehrfaches teurer als die oberirdischen. Sie halten laut Experten zudem weniger lang und sind anfälliger für Blindstrom. Brandenburg kann darüber keine Entscheidung fällen, ohne in Bundeskompetenzen einzugreifen, fürchten Rechtsexperten. So zögert sich der Bau hinaus: Eine andere aktuelle neue 110-Kilovolt-Trasse betrifft das Potsdamer Stadtgebiet. Obwohl es sich um die Rekonstruktion einer Vorkriegsleitung handelt, regt sich Anwohnerprotest, angefeuert von Grünen-Politikern – kein gutes Zeichen für Versorgungssicherheit und Arbeitsplätze.          SV


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