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19.02.11 / Die Neuvermessung »der Mitte« / Parteien werben um sie, ohne offenbar jedoch selbst eine Definition für sie zu haben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-11 vom 19. Februar 2011

Die Neuvermessung »der Mitte«
Parteien werben um sie, ohne offenbar jedoch selbst eine Definition für sie zu haben

In den sieben Landtagswahlkämpfen in diesem Jahr wird um „die Mitte“ hart gerungen. Irgendwie versucht jede Partei, diesen Begriff für sich zu besetzen. Doch wo liegt eigentlich „die Mitte“ und ist der Begriff nun ideologisch oder gesellschaftlich zu deuten?

Nach dem Debakel bei der letzten Bundestagswahl versuchte die SPD sich darauf zu verständigen, dass die Zukunft in der „linken Mitte“ liege. Damit wurden zwar fürs erste die aufgebrachten und enttäuschten Gemüter der verbliebenen Parteianhänger beruhigt, aber die Formel zeigte wenig Perspektiven. Seit Oskar Lafontaine die SPD verließ und die Links-Partei gründete und ebenfalls den Begriff der „linken Mitte“ für sich reklamierte, haben die Sozialdemokraten ein Identitätsproblem. Der Spagat zwischen der kleiner und älter werdenden Arbeitnehmerschaft einerseits und der sogenannten Mittelschicht anderseits will nicht mehr so recht gelingen.

Ungeniert torpediert die Links-Partei die sozialdemokratischen Reformprojekte mit Slogans wie „Weg mit Hartz-IV“, „Reichensteuer einführen“ oder „Reichtum für alle“. Damit wandeln die Linken ein altes Motto der Christdemokraten ab. 1957 hatte Ludwig Ehrhard mit seinem Buchtitel „Wohlstand für alle“ für die damalige Mitte geworben. Heute behauptet der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Volker Kauder, dass die Bundesrepublik ein „Land der Mitte“ sei. Jeder müsse hier seine Chance bekommen“, und dafür solle die Politik die Voraussetzungen schaffen. Das christliche Menschenbild verpflichte dazu, gute Bildung und Chancengleichheit anzubieten.

Etwas weniger allgemein antwortet der CSU-Landesgruppenchef des Bundestages, Hans-Peter Friedrich, auf die Frage nach der Mitte. Weder die „polyglotten Großverdiener“ noch die „Empfänger von Transferleistungen“ (Arbeitslose, Kinder, Rentner) seien die Mitte, sondern diejenigen, die „arbeiten und Steuern zahlen und den Sozialstaat finanzieren“. Ähnlich würde es auch die FDP ausdrücken können. Die Freien Demokraten berufen sich, versichert die Fraktionschefin Birgit Homburger, nicht auf ein Schema von „links“ und „rechts“, sondern auf eine bestimmte Geisteshaltung. Als Kennzeichen dieser liberalen Gesinnung nennt sie „Leistungsbereitschaft, Fleiß und Aufstiegswillen“. Die „Menschen der Mitte“ würden sich um die Ausbildung der Kinder kümmern, für die Familie sorgen und Solidarität in der Gesellschaft leben.

Wer diesen Stellungnahmen führender Politiker folgt, wird nicht unbedingt schlauer. Das liegt wohl auch daran, dass es generell schwierig ist, die genaue Mitte zwischen zwei Punkten oder Lagern zu lokalisieren. Die Herbert-Quandt-Stiftung hat sich mit diesem Problem gleich mehrere Jahre lang befasst. Ziel der jährlichen Tagungen war es, zusammen mit hochkarätigen Referenten den gesellschaftlichen Wandel zu erfassen und das „Potenzial der Mitte“ auszuloten. Die Tagungsbände „Zukunft der gesellschaftlichen Mitte in Deutschland“ (2006) oder „Die Mitte als Motor der Gesellschaft – Spielräume und Akteure“ (2007) zeigen die Denkanstöße. Der letzte Band hieß: „Aspekte gesellschaftlicher Mitte in Europa“ (2009).

Im Zuge der Europäisierung und Globalisierung geraten die bisherigen national gefärbten Definitionen von Mitte in ein neues Licht. Eine alternde Gesellschaft, Staatsschulden, Umweltfragen oder der internationale Wettbewerb bringen neue Konfliktpotentiale mit sich. Die Bürger fragen sich dabei, ob die Parteien mit dem Schlagwort der „Mitte“ darauf wirklich eine Antwort wissen. Dass ausgerechnet Altkommunist Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, vor dem Verlust der Mittelschicht warnt und über die „lebensweltlichen Gemeinsamkeiten von Langzeitarbeitslosen und Superreichen“ philosophiert, wird dabei nur die wenigsten über die „Mitte“ täuschen können.       Hinrich E. Bues


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