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19.02.11 / Die Wiederentdeckung der Eisenbahn / US-Präsident versucht gegen Widerstand der Republikaner Hochgeschwindigkeitsstrecken durchzusetzen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-11 vom 19. Februar 2011

Die Wiederentdeckung der Eisenbahn
US-Präsident versucht gegen Widerstand der Republikaner Hochgeschwindigkeitsstrecken durchzusetzen

Während es in einigen Brennpunkten wie Stuttgart regionale Probleme beim Ausbau des europäischen Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes gibt, befinden sich die USA noch in den Anfängen eines Aufbaus.

„Stellen Sie sich vor“, warb US-Präsident Barack Obama bereits 2009, „wie schön es wäre, einfach mitten in der Stadt in einen Zug zu steigen. Keine Hetzerei zum Flughafen … Stellen Sie sich vor, wie Sie mit fast 200 Stundenkilometern von einer Stadt zur anderen brausen und nur ein paar Straßen von Ihrem Ziel entfernt eintreffen.“ Ein Hochgeschwindigkeitsbahnsystem, für Europa absolut selbstverständlich, hat in den USA zu massivem Zwist zwischen Demokraten und Republikanern geführt.

Nur mit Mühe hat Obama sein Projekt gegen heftige Widerstände zumindest zum Teil retten können, obwohl es dem Land große wirtschaftliche Vorteile und den Bürgern enorme Erleichterung verschaffen soll. Doch dieser Tage konnte Vize-Präsident Joe Biden den Plan der Regierung von Präsident Obama verkünden, über die kommenden sechs Jahre 53 Milliarden US-Dollar in ein Netz von Hochgeschwindigkeitszügen zu investieren. Im laufenden Budget sind bereits 2,5 Milliarden US-Dollar genehmigt. Langfristig sollen alte Zugstrecken ausgeweitet und neue gebaut werden, die  für Hochgeschwindigkeitszüge, die bis zu 370 Stundenkilometer fahren können, befahrbar sind. Die einzelnen Staaten erhalten millionenschwere Zuschüsse. Allen voran Kalifornien, das schon jetzt 898 Millionen US-Dollar erhält und Florida, das 800 Millionen US-Dollar aus dem klammen Washington bekommen soll. Die für Wisconsin und Ohio vorgesehenen 1,2 Milliarden  US-Dollar wurden jedoch gestrichen, nachdem die beiden im Herbst neu gewählten Gouverneure, beides Republikaner, sich massiv gegen den Bau ausgesprochen hatten. In ihren Augen sind diese Strecken ein weiterer Schritt Richtung europäischem Sozialismus. Sie sind dagegen, dass die Washingtoner Elite, so ihre Sicht der Dinge, den Bürgern im Land ein derart umfassendes Projekt vorschreibt und das dann auch noch in Zeiten einer galoppierenden Staatsverschuldung. Doch das Nein aus Wisconsin und Ohio freut Kalifornien, denn der stark überschuldete Sonnenstaat erhält nun weitere 624 Millionen US-Dollar, die eigentlich für die anderen beiden Staaten vorgesehen waren, und kann bereits früher mit dem Bau seiner Streckenabschnitte beginnen: ein willkommenes Konjunkturprogramm.

Ein Hochgeschwindigkeitsnetz über eine Strecke von 1300 Kilometern ist dort in Planung. Der Bau soll Anfang nächsten Jahres beginnen und über 100000 Arbeitsplätze schaffen. In einigen Jahren kann man dann endlich von San Diego über Los Angeles nach San Francisco in rund vier Stunden fahren, so wie die Deutschen es mit ihren schnellen ICEs seit gut zwei Jahrzehnten gewohnt sind.

Was heute den US-Präsidenten so viel Überredungskunst gekostet hat, basiert eigentlich auf einem alten amerikanischen Traum. Bereits 1830 spielte man erstmals mit dem Gedanken vom Bau einer „Transcontinental Railroad“. Und ganz besonders, nachdem man 1848 in Kalifornien Gold entdeckt hatte und hundertausende Europäer in die USA drängten und von der Ostküste gen Westen in den Sonnenstaat weiterzogen. Doch es war nicht nur die wirtschaftliche Bedeutung der „Transcontinental“. Es war, was Präsident Abraham Lincoln mitten im Bürgerkrieg visionär vorgeschwebt hatte, als er bereits 1862, gerade ein Jahr im Amt, die „Pacific Railroad Acts“ nach heftigsten Widerständen im Kongress unterzeichnen konnte: Es war auch die menschliche und kulturelle Vereinigung der Bürger so unterschiedlicher Staaten des Riesenlandes. Durch ständigen Austausch von Menschen und Waren veränderte die „Transcontinental“ das Bewusstsein der Bürger. Lincoln, der „Große Vereiniger“, hatte recht behalten. Doch er erlebte seinen Triumph nicht mehr. Er wurde am 14. April 1865 erschossen. Dann, am 10. Mai 1869, war in Promontory, Utah, der große Tag: Die Eröffnung der „Transcontinental Railroad“, die erstmals die Ostküste mit der Westküste durch ein Schienennetz von über 2000 Meilen verband und Amerika damit zu wirklich Vereinigten Staaten machte, „From Sea to Shining Sea“. Das ganze Land erlebte mit erregter Spannung den feierlichen Augenblick, telegraphisch überall hingetragen, als der Hammerschlag des Gouverneurs von Kalifornien den berühmt gewordenen „Golden Spike“, den letzten Nagel, in die verbindende Schiene schlug. (Er schlug daneben und musste zum Gelächter aller wiederholen!) In Dörfern und Städten in ganz Amerika jubelten die Menschen und läuteten die Glocken. Sechs Jahre lang hatten die „Union Pacific“ Richtung Westen und die „Central Pacific“ von Sacramento Richtung Osten die Schienen durch schöne, doch härteste Landschaft gelegt. Durch  Bergmassive wie die Sierra Nevada, am „Great Basin“ entlang, durch Wüsten und über Flüsse. Und nun feierten sie. Die Arbeiter (zu 90 Prozent chinesische Gastarbeiter wie auch Kriegsveteranen), die Politiker, die Rail-Road-Offiziellen, die Presse und die Schaulustigen. Bereits am nächsten Tag fuhr der erste Passagierzug von San Franzisco nach New York, in kaum einer Woche, während es bisher nur monatelange Reisezeiten per Pferdewagen oder über den Seeweg gegeben hatte. Der Handel erblühte.

Doch dann kamen Autos und Flugzeuge und verdrängten die Bahn als Verkehrsmittel. Wer heute in Los Angeles lebt, hat gar das Gefühl, es gäbe überhaupt keine. Zu lange haben die US-Bürger die Begeisterung ihrer Vorfahren nicht geteilt. „Wir fliegen doch … Wir fahren Auto … Was brauchen wir Züge“, war die Meinung. Doch mit den entnervenden Wartezeiten durch die neuen Sicherheitsbedingungen an den Flughäfen, den hohen Benzinpreisen, einem erwachenden Umweltbewusstsein und verstopften Freeways beginnt ein Umdenken. Und das dürfte Amerika in die Zukunft der Hochgeschwindigkeitszüge katapultieren. Wie damals die „Transcontinental“.           Liselotte Millauer


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