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19.02.11 / Seidel soll vor Strauß gewarnt haben / Vor 60 Jahren erfolgte der dritte Wechsel an der Spitze der Christlich Sozialen Union in Bayern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-11 vom 19. Februar 2011

Seidel soll vor Strauß gewarnt haben
Vor 60 Jahren erfolgte der dritte Wechsel an der Spitze der Christlich Sozialen Union in Bayern

Vor einem halben Jahrhundert erfolgte an der Spitze der Christlich Sozialen Union in Bayern ein Stabwechsel. Der Unterfranke Hanns Seidel legte nach dem bayerischen Ministerpräsidentenamt am 16. Februar 1961 auch das Amt des CSU-Vorsitzenden nieder. Am 18. März 1961 folgte ihm als neuer Parteivorsitzender der Oberbayer Franz Josef Strauß.

Hinter Hanns Seidels Rücktritt als Ministerpräsident und Parteivorsitzender stand keine politische Intrige, auch nicht des zu solchen Streichen durchaus fähigen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, mit dessen CDU die CSU damals in Bonn an der Regierung war. Nein, Hanns Seidel litt schwer an den Folgen eines Autounfalles. Am 6. Juli 1958 war sein Dienstwagen auf einer Baustelle der Autobahn München–Nürnberg mit einem entgegenkommenden Lastkraftwagen zusammengestoßen. Seitdem litt Seidel an der Wirbelsäule, was ihn immer wieder aufs Krankenbett zwang. Am 5. August 1961 starb er.

Hätte ihn das Schicksal nicht auf diese Weise ereilt, er hätte seine beiden Spitzenämter noch länger behalten können. Denn sowohl seine politische Kompetenz als auch seine persönlichen Eigenschaften wurden in der Partei rundum anerkannt. Er trat stets ruhig, ohne Haschen nach publikumswirksamer Theatralik und vermittelnd auf. Von 1947 bis 1954 war er bayerischer Wirtschaftsminister gewesen, ein guter Organisator, der zuverlässig zu den Prinzipien der „Sozialen Marktwirtschaft“ stand, die das Credo des Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard (CDU) waren.

Die Landtagswahl von 1954 hatte der CSU eine herbe Niederlage und die Opposition eingebracht. Das hatte zum Rücktritt des Vorsitzenden Hans Ehard geführt und zur Wahl Hanns Seidels am 22. Januar 1955 zu dessen Nachfolger. Seidels Konkurrent war Franz Josef Strauß gewesen. Der verkörperte die bundespolitische Seite der CSU, saß seit 1949 im Bundestag und war 1953 zum Bundesminister für besondere Aufgaben ernannt worden. Aber in Bayern hatte man damals den ausgewiesenen Landespolitiker vorgezogen. Denn nach der Schlappe von 1954 bestand die Notwendigkeit, die Partei aus dem bisherigen Honoratioren-Wahlverein heraus straffer zu organisieren, mit einer durchorganisiert arbeitenden Landesleitung und flächendeckender Präsenz durch Funktionäre.

Adenauer schätzte Hanns Seidel sehr. Als der Kanzler 1959 mit der Idee umging, den ungeliebten Ludwig Erhard, damit der keine Chancen mehr als Nachfolger des „Alten“ hatte, auf das Amt des Bundespräsidenten abzuschieben, bot er dem Bayern das Wirtschaftsressort an. Eine Reaktion Hanns Seidels darauf ist nicht überliefert. Dem Bundespolitiker Strauß hingegen begegnete Adenauer mit Misstrauen, und erst nach langem Zögern machte er ihn 1956 zum Verteidigungsminister.

In diesem Amt sammelte Strauß Lorbeeren (bis zur „Spiegel“-Affäre vom Herbst 1962), so dass ihm nach dem Rücktritt Seidels der Parteivorsitz der CSU kaum streitig gemacht werden konnte. Einen Konkurrenten hatte Strauß in einem anderen CSU-Bundespolitiker, dem Finanzminister Fritz Schäffer, der sich dann mit Adenauer anlegte und in das Justizministerium abgeschoben wurde. Aber Schäffer verdarb sich selbst seine Chancen, da er hinter dem Rücken Seidels auf die Übernahme des Vorsitzes hingearbeitet hatte und sich, von dem Kranken zur Rede gestellt, damit herauszureden versuchte, dass er ihn nur seiner Krankheit wegen nicht kontaktiert habe.

Gegen Strauß kam auch Rudolf Eberhard als Kandidat in Frage, Finanzminister im Kabinett Seidel, ferner der Fraktionsvorsitzende im Landtag, Franz Heubl. Beide zogen sich aber sehr schnell aus dem Rennen zurück. So wurde am 18. März 1961 auf einer außerordentlichen Landesversammlung der Partei Strauß mit 546 von 572 Stimmen klar gewählt.

In seinen Memoiren schreibt Strauß: „Es gab für mich keinen Gegensatz zu Seidel und – ich glaube, ich darf das sagen – von ihm aus keinen Gegensatz zu mir.“ Jedenfalls waren die beiden Persönlichkeiten grundverschieden, und es geht das Gerücht, Seidel habe vor Strauß als seinem Nachfolger gewarnt. Der Erfolg der CSU in Bayern aber sprach klar für die Dynamik von Strauß. Denn mochten seine vielen Skandale, seine speziell bayrisch-barocke und bewusst polarisierende Rhetorik ihm den Weg ins Bundeskanzleramt versperren – erst unter seinem Vorsitz gewöhnte sich die Partei daran, bei jeder Landtagswahl mehr als 50 Prozent der Stimmen einzufahren, und erst unter seinem Vorsitz wurde Bayern vom Agrarland mit klerikalen Bindungen zum High-Tech-Standort.

Strauß schreibt auch: „Es ist meine große Sorge, dass nach mir der Abstieg der CSU unter die 50-Prozent-Grenze kommen könnte.“ Strauß starb am 3. Oktober 1988. Es sollte immerhin bis zu den Landtagswahlen vom 28. September 2008 dauern, bis die CSU nur noch 43,4 Prozent der Stimmen bekam und sich, zum ersten Mal seit der Landtagswahl 1962, einen Koalitionspartner suchen musste.  Bernd Rill


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