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19.02.11 / »Nicht Deutscher, nicht Pole – Schlonsake!« / Die »Bewegung für die Autonomie Schlesiens« – Was die neue Regierungspartei kurz-, mittel- und langfristig will

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-11 vom 19. Februar 2011

»Nicht Deutscher, nicht Pole – Schlonsake!«
Die »Bewegung für die Autonomie Schlesiens« – Was die neue Regierungspartei kurz-, mittel- und langfristig will

Jedes deutsche Bundesland bietet mehr auf, als in Polen Jerzy Gorzelik und seine „Bewegung für die Autonomie Schlesiens“ (RAS) fordern: eigener Haushalt, Parlament, Regierung und Polizei. Auf dem Papier haben sie das seit dem 1. Januar 1999, als die neugeschaffene „schlesische Woiwodschaft“ – 12334 Quadratkilometer Fläche mit rund 4637700 Einwohnern – laut Statut volle parlamentarische, exekutive und budgetäre Eigenkompetenz bekam. Der Wahl­erfolg der RAS spricht dafür, dass die Schlesier dieses nun auch in der Realität wollen. Bei den letzten Kommunalwahlen wählten mit 122781 Wahlberechtigten doppelt so viele die RAS wie noch 2006. Diese 8,5 Prozent der abgegebenen, gültigen Stimmen brachten ihr drei Sitze im Woiwodschaftsparlament ein. Das reichte für eine Koalitionsregierung mit der Bürgerplattform (PO) und der Polnischen Volkspartei (PSL). In ihr ist die RAS mit ihrem Vorsitzenden Gorzelik vertreten, der das Ressort Bildung und internationale Kooperation führt.

Unversehens in der Regierungsverantwortung steht die RAS vor der Herausforderung, ihre Wünsche und Vorstellungen konkretisieren zu müssen. Bis zu ihrem Parteikongress am 5. März soll ein Programm vorliegen. Umgehend wollen sie eine vollgültige Autonomie, die dem polnischen Staat nur noch die Verteidigungs-, Außen- und Geldpolitik lässt. Mittelfristig fordern sie die Restitution der „Großregion Schlesien“, also mindestens eine Wiedervereinigung von Ober- und Niederschlesien. Und in weiter Zukunft folgt noch die Anerkennung als eigenes Volk mit eigener Sprache: „Nicht Deutscher, nicht Pole – Schlonsake!“

„Schlesien wird ein zweites Kosovo“, orakelte unlängst eine Mos­kauer Zeitung, was nicht wenige Polen auch fürchten. Als 1997 RAS-Mitglieder eine „Union schlesischer Nationalität“ anmelden wollten, bekamen sie Ärger mit dem „Amt für Staatsschutz“. Die Staatsschützer beruhigten sich, andere Polen regen sich weiter auf und vergleichen Schlonsaken mit Kosovaren, Flamen, Basken und Katalanen, sehen schlesische Pendants von ETA- und UCK-Terroristen. Solche Ängste amüsieren Jerzy Gorzelik: „Ist Polen so unattraktiv, dass ganze Regionen von ihm fortstreben, oder bringt nach deutschem Beispiel Föderalismus Wohlstand für alle? Nur der übertriebene Zentralismus der 2007 abgewählten Kaczynski-Regierung war eine wahre Gefährdung für den Zusammenhalt des Staates.“

Doch nicht nur von polnischer, sondern auch von deutscher Seiten erwächst der RAS Kritik, fürchtet man in der Deutschen Minderheit doch, aus der eigenen Klientel Wähler an den neuen Hoffnungsträger der Nicht-Polen zu verlieren. Vor diesem Hintergrund warnt Gorzelik vor einer Selbstzerfleischung der Nicht-Polen: „Die Deutschen hegen panische Angst, denn in der kommenden Autonomie der Schlonsaken werden sie keine privilegierte Gruppe mehr sein. Darum sind sie als Organisation gegen uns, nur privat stehen manche zu uns.“

Unter polnischer Verwaltung wurde das rohstoffreiche Schlesien ökologisch in einer Weise verwüstet, dass die Gewerkschaft „Solidarnosc“ es 1985 in einer Expertise als „eines der am meisten verschmutzten Länder der Welt“ bezeichnete. Ein Jahr später nannte der Bischof von Katowice Horrordaten. So wies er darauf hin, dass die Säuglingssterblichkeit in der Region um ein Mehrfaches höher war als im Rest der Volksrepublik, die Häufigkeit von Krebserkrankungen 50 Prozent über dem Landesdurchschnitt lag und die Lebenserwartung nicht nur gering, sondern trotz medizinischen Fortschritts sogar rückläufig war.

Nichtsdestotrotz sind Polen überzeugt, dass erst sie nach dem Ersten Weltkrieg den Schlonsaken Kultur und Identität gegeben hätten – dass in Schlesien in Jahrhunderten ein slawisches Regionalbewusstsein, gefördert durch eigene Kultur und eigene Eliten, herangewachsen war, wird bis heute das Gros der Polen bestreiten. Dass Polen Schlesien im Juli 1920 ein Autonomiestatut gab und von dem Ökonomen Jozef Buzek (1873–1936) eine Föderal-Verfassung entwerfen ließ, wissen heute nur noch die Aktivisten der RAS, die überlegen, ob sie vor dem Verfassungsgericht gegen die am 6. Mai 1945 von Kommunisten verfügte Aufhebung der Autonomie von 1920 klagen sollen.

Jeden Januar marschieren Schlonsaken nach Zgoda, wo 1945 Tausende Schlonsaken in kommunistischen Vernichtungslagern umgebracht wurden. Jeden Juli marschieren sie zum Gedenken des Autonomiestatuts von 1920. Die Mörder von 1945 blieben unbehelligt, die Mahnungen an 1920 ohne Resonanz.     Wolf Oschlies


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