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05.03.11 / Sicherheit kaputtgespart / Kriminologe Pfeiffer attackiert Berliner Senat: Jugendgewalt steigt bedrohlich an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-11 vom 05. März 2011

Sicherheit kaputtgespart
Kriminologe Pfeiffer attackiert Berliner Senat: Jugendgewalt steigt bedrohlich an

Nach dem Überfall von vier jungen Immigranten auf einen Maler in Berlins U-Bahn-Station Lichtenberg streiten Experten über die Hintergründe. Berlins Polizei habe den Vorfall „bewusst heruntergespielt“, attackiert der Kriminologe Christian Pfeiffer den rot-roten Senat.

Die Kritik am Sparen bei der Inneren Sicherheit der Hauptstadt kommt aus den eigenen Reihen. Pfeiffer steht als Ex-Justizminister eines SPD-Kabinetts und Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) nicht im Verdacht, linksliberale Positionen aufzugeben. Wie das offizielle Berlin setzt auch er auf „Prävention“, statt mehr Mittel für Fahndung und Ahndung zu fordern.

Jugendgewalt gehört zu den bevorzugten Themen des KFN. Lange spielte die viel beachtete Institution Gefahren, die von nicht integrierten Zuwanderern ausgehen, herunter und empfahl nur allgemein vorbeugende Maßnahmen. Berlins Politik wie Polizei weisen gern auf eigene Vorbeugungserfolge hin – soweit die Übereinstimmungen. Jetzt legt Pfeiffer sich mit Berlins Senat an: Die Aufklärungsquote bei Gewalttaten liege mit „mickrigen 60 Prozent“ unter dem Bundesschnitt von 75 Prozent. Er sieht die Verantwortung klar verteilt: „Die Polizei mag nicht, dass man auf die Misere der Stadt sieht.“ Die Misere der Stadt ist ihre Armut. Die zwingt vermeintlich zum allseitigen Sparen – ein Fehler, so Pfeiffer. Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch erwidert, Pfeiffer gehe „in einer so unqualifizierten Weise, wie ich es bisher noch nie bei einem Wissenschaftler erlebt habe“ vor. Glietsch macht darauf aufmerksam, wie wenig die Stadt in Sachen Aufklärung von „Rohheitstaten“ hinter Hamburg oder Bremen liege. 76 Prozent dieser Delikte würden aufgeklärt. Er weist jedoch ebenso darauf hin, „dass Berlin bei Jugendgewaltdelikten einen Spitzenplatz in der Kriminalstatistik einnimmt“ – seit Jahren.

Glietsch ist verantwortlich für ein neues Arbeitszeitmodell, das seit Anfang Januar zu Verzögerungen beim Notruf führt. Die Bürger müssen seither länger ausharren, bis Hilfe von der Notrufzentrale kommt. „Diese Wartezeiten werden nicht durch die Polizisten dort verursacht“, erklärt die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), sondern durch das „gesundheitsschädigende Arbeitszeitmodell“. Der Krankenstand liege bei bis zu 50 Prozent, weniger qualifizierte Kollegen müssten aushelfen.

Zur 200-Jahr-Feier der Berliner Polizei 2009 blockte Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) Forderungen nach mehr Gehalt für Beamte mit der süffisanten Bemerkung ab, dies werde vielleicht innerhalb der nächsten 200 Jahre geschehen.

Im Berliner Jugendstrafvollzug sind die Folgen von Personaleinsparungen unübersehbar: Selbst Staatsanwälte beklagen sich, das Land unternehme nichts gegen die Gewalt im Knast. Draußen vergeht derweil kaum ein Wochenende ohne brutale Überfälle junger Täter. Sie erfolgen zunehmend aus dem Schutz der Gruppe heraus.

Der Streit um die richtige Politik droht an der Spree zum reinen Statistikwettkampf zu verkommen. Im Frühjahr legt Glietsch die Zahlen für 2010 vor – um sich im Mai in den Ruhestand zu verabschieden. Doch schon die offiziellen Daten für 2009 hatten für Verwirrung gesorgt – gab es nun weniger Morde oder mehr? Berlins Politik wehrt sich bis in die Statistik gegen den Vorwurf, eine verarmte Gewalt­hauptstadt hervorzubringen. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ist bemüht, die Mängel schönzureden: „Nach dem Fall in Lichtenberg ist die Wahrnehmung anders“, nur die gefühlte Gewalt habe zugenommen, die reale aber nicht. Aus seinem Hause verlautet: „Die Jugendgruppengewalt ist in Berlin rückläufig.“ Laut der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) ist nur bei 0,003 Prozent der Fahrten Gewalt gegen Fahrgäste verzeichnet worden. BVG-Sprecherin Petra Reetz: „Die Anzahl der Übergriffe nimmt ab. Aber was wir erschrocken zur Kenntnis nehmen, ist die Bereitschaft, jemanden ernsthaft zu verletzten.“

Auch Glietsch verzeichnet weniger Straftaten von Jugendbanden: 2010 sogar 20 Prozent weniger als 2009. Ein Großteil des Rückgangs liegt aber im Feld der Sachbeschädigung. „Doch auch wenn man das außen vor lässt, wurden sieben bis acht Prozent weniger Straftaten der Jugendgruppengewalt registriert. Das gilt insbesondere für Raub- und Körperverletzungsdelikte“, so Glietsch.

Den Rückgang schreibt er dem Intensivtäterprogramm zu, ein Erbe der verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig, das sie gegen rot-rote Widerstände vorantrieb.

Indes: Die positive Rechnung beruht im Wesentlichen darauf, dass es – Geburtenrückgang – immer weniger junge Menschen in Berlin gibt. Für Glietsch ist das aber nur ein Randaspekt. Zum anderen gibt die Statistik nicht die Erfahrungen Berliner Richter wieder, die von steigender Brutalität junger Täter berichten. Drittens nimmt vor allem die Schulgewalt deutlich zu, auch in offiziellen Erhebungen.

Signifikant gestiegen ist schließlich die Zahl sehr junger Tatverdächtiger. Schon 2009 fielen 2,6 Prozent mehr Kinder entsprechend auf als 2008. Gerade der nach Einschätzung von Insidern überproportional hohe Anteil junger Immigranten bei den Straftaten wird statistisch nicht sauber erfasst, wie das offizielle Datenwerk für 2009 einräumt. Die Erfolge von Vorbeugung sind fraglich, wenn auf Taten keine angemessenen Strafen folgen, sagen Kenner der Szene. Pfeiffers Vorwurf, Berlin „verwalte“ Jugendgewalt lediglich, erhält von ihnen neue Nahrung.            SV


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