19.04.2024

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05.03.11 / Blütenzauber / Vorboten des Frühlings erfreuen Jeden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-11 vom 05. März 2011

Blütenzauber
Vorboten des Frühlings erfreuen Jeden

Als Sabine morgens das Haus verließ, goss es in Strömen. Von wegen Frühling! dachte sie missmutig und spannte den Schirm auf. Dabei streifte ihr Blick das Parterrefenster, in dem sich ihr Nachbar gerade an seinen Blumentöpfen zu schaffen machte. Mit konzentriertem Gesichtsausdruck, die weißen Brauen leicht gerunzelt, zupfte er vorsichtig welke Blüten von seinen Geranien.

Sabine nickte grüßend herüber, was höflich erwidert wurde. Ja, höflich war er schon, der alte Herr Kreitmeier. Gleichzeitig legte er ihr und den anderen Hausbewohnern gegenüber aber ein so unterkühltes, distanziertes Verhalten an den Tag, dass ihm jeder tunlichst aus dem Weg ging.

Zweifellos wollte der alte Herr in Ruhe gelassen werden, und so hatte es auch Sabine längst aufgegeben, in seiner Gegenwart eine Bemerkung übers Wetter zu machen oder ihm bei einer zufälligen Begegnung in der Stadt gar von der anderen Straßenseite fröhlich zuzuwinken.

Immerhin schien es ihr noch das kleinere Übel zu sein, einen Eisblock als Nachbarn zu haben als eine alte Tratsch‘n! In diesem tröstlichen Bewusstsein machte sich Sabine auf den Weg zur Arbeit. Selbst der Regen drückte nicht mehr aufs Gemüt. Wenn die Wolken auch in düsterem Grau daherwaberten – irgendwann würde ja doch die Sonne durchbrechen!

Die Sehnsucht nach Wärme und Frühling im Herzen, schaute sie nach Feierabend noch kurz in dem kleinen Blumenladen in ihrer Straße vorbei. Herrlich war der Anblick der leuchtenden Hyazinthen, Tulpen und Narzissen! Er stimmte Sabine so froh, dass sie gleich drei Narzissentöpfchen erwarb. Daheim würde sie die Frühlingsboten ins Küchenfenster stellen, um sich auf diese Weise schon beim Frühstück an ihnen erfreuen zu können.

Die knospende Pracht fröhlich vor sich hertragend, stieß Sabine schwungvoll die Haustür auf – und prallte im nächsten Augenblick mit Herrn Kreitmeier zusammen. „Oh, pardon“, murmelte sie erschrocken. „Ich war wohl zu schnell mit der Tür. Haben Sie sich etwa gestoßen?“ „Nein, nein.“ Der alte Herr kniff die Lippen ein, musterte Sabine nochmals aus seinen blassen Augen, deren Blick stets nach innen gerichtet schien, und schickte sich dann, das Haus zu verlassen.

Es war eine plötzliche Eingebung, die Sabine veranlasste, hastig das Blumenpapier zu lösen und ihrem Nachbarn eines der Töpfchen in die Hand zu drücken: „Hier – quasi als Wiedergutmachung für den Schrecken.“ Sekundenlang sah es ganz so aus, als wollte ihr Gegenüber das Präsent von sich weisen. Schmallippig starrte Herr Kreitmeier auf das Töpfchen in seiner Hand. In seinem Gesicht zuckte es. Aber dann blickte er hoch und ein sprödes Lächeln schimmerte auf: „Danke. Sehr liebenswürdig von Ihnen.“ Es war eine höfliche Floskel, nicht mehr. Dennoch ging sie Sabine noch nach, als sie längst in ihrer kleinen Küche saß und die zarten Blütenköpfchen auf dem Fensterbrett bewunderte. „Sehr liebenswürdig“, hatte Herr Kreitmeier gesagt. Nicht die Worte an sich machten sie nachdenklich, sondern der zittrige, ja, brüchige Unterton in seiner Stimme. Es schien, als hätte das Eis Risse bekommen.Als sie am nächsten Morgen aus dem Haus trat, freute sich Sabine über den gelben Blütenschein in ihrem Fenster. Ungleich größer war ihre Freude jedoch über das kleine Narzissentöpfchen im Parterre …            Renate Dopatka


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