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05.03.11 / Eine Identitätssuche / Was macht Serbien aus? Slawisten nähern sich an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-11 vom 05. März 2011

Eine Identitätssuche
Was macht Serbien aus? Slawisten nähern sich an

„Serbien muss sterbien“ lässt Karl Kraus in seinem Monumentaldrama „Die letzten Tage der Menschheit“ von 1922 den Wiener Mob grölen. Die Szene spielte zu Beginn des Ersten Weltkriegs, aber Kraus’ Serbien-Slogan erlebte nach 1990 in Kommentaren zum Bürgerkrieg in (Ex-) Jugoslawien, an welchem nach allgemeiner Ansicht Serbien die Alleinschuld trug, vielfältige Wiederbelebungen. An diesem Krieg blieb nur das Land unschuldig, das sich aus ihm heraushielt (was außer Makedonien keines vermochte), und wer Serbien immer noch als Europas bête noire behandelt, muss sich und anderen erklären, wie man Sicherheits- und Ordnungspolitik auf dem Balkan betreiben will, wenn man sie gegen das größte Land und Volk der Südslawen, Serbien und Serben, konzipiert.

Deutschland könnte aus politischem Eigeninteresse und historischer Berechtigung Vorreiter einer fairen Würdigung Serbiens sein. Das ist der unausgesprochene  Grundgedanke des vorliegenden Sammelbandes, der wissenschaftliche Referate von zwei Symposien enthält. Die Beiträge sind von erfrischender Vielfalt, die selbst harsche Gegensätze nicht scheut: Da erwähnt der Literaturwissenschaftler Michael Müller im Vorwort die „Schlacht auf dem Amselfeld“ von 1389 als „serbisches Urtrauma“, während der Slavist Wolf Oschlies in einem langen Aufsatz über Serben und Deutsche die These vertritt, dass diese „Schlacht“ niemals stattgefunden habe.

Alle Autoren behandeln Themen aus dem weiten Feld serbisch-deutscher kultureller Wechselseitigkeit. Ulrich Obst, Wolf Oschlies und Zeljko Markovic befassen sich mit Germanismen „im Serbokroatischen“, womit sie sich als Anhänger der 150 und mehr Jahre international vertretenen Lehrmeinung erweisen, dass Serben, Kroaten und Bosnier ein und dieselbe Sprache sprechen. Manfred Jähnichen, vormals führender Slawist in der DDR, und Jens Herlth, Slawist aus Fribourg, steuern kundige Aufsätze zu serbischer Epik und Poesie bei.

Auf den Symposien, deren „Ernte“ der Band einfährt, erweckten zwei Beiträge von Michael Müller besonderes Interesse – als er Serbiens Weg „vom zweiten zum dritten Jugoslawien“ anhand von Artikeln aus einer Belgrader Sportzeitung nachzeichnete und als er deutsche Zeitungsberichte über den Belgrader Diktator Milosevic einer literaturwissenschaftlichen Analyse unterzog. Gerhard Ressel, Slawist aus Trier, liefert mit einem biographischen Aufsatz über den montenegrinischen Dichter und Fürstbischof Petar II. Njegos Aspekte zum Verständnis des (wieder) souveränen Staates Montenegro.

Serbische Sprachforscher waren „Schüler“ Herders und der Gebrüder Grimm, Leopold von Ranke schrieb vor 180 Jahren Bücher über Serbien, die dort bis heute „Kult“ sind, Goethe lernte Serbisch, um altserbische Epen wie die „Aslanagica“ nachdichten zu können. Und es gab noch zahllose Kontakte mehr, die in Deutschland vergessen sind. Es gibt vieles und aufregend Interessantes wiederzuentdecken. Dazu liefert der Kölner Sammelband Hinweise.      EB

Bodo Zelinsky (Hrsg.): „Serbien – Identitätskrise als Kontinuum“, Schriftenreihe des Zentrums Osteuropa der Universität zu Köln, Bd. 2, Kirsch-Verlag, Nümbrecht 2010, 313 Seiten, 17,50 Euro


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