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12.03.11 / Häuptling am Pranger / Trotz durchaus vorhandener Erfolge blicken die Franzosen nur auf die Fehler der Sarkozy-Regierung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-11 vom 12. März 2011

Häuptling am Pranger
Trotz durchaus vorhandener Erfolge blicken die Franzosen nur auf die Fehler der Sarkozy-Regierung

Nach aktuellen Umfragen des Instituts Harris interactive würde Marine Le Pen beim ersten Wahlgang der Präsidentenwahl 23 Prozent der Stimmen erreichen, während der potenzielle Kandidat der Linken, Dominque Strauss-Kahn, bei 23 Prozent läge und der regierende Präsident Nicolas Sarkozy nur noch bei 21 Prozent. Warum wendet sich Frankreich so massiv von seiner Regierung ab?

Zwei Fakten beherrschen den politischen Horizont in Frankreich: der Aufstieg der Marine Le Pen, der frisch gekürten Vorsitzenden der konservativen und oppositionellen Nationalen Front (FN), die seit dem letzten Wochenende in der Wahlgunst der Franzosen den heutigen Staatspräsidenten Sarkozy überholt hat und damit die Fortsetzung der neogaullistischen Republik nach 2012 in Frage stellt; und die in den letzten Monaten sturmflutartige Verbreitung der Philippika des alten Diplomaten Stéphane Hessel „Empört Euch“ („Indignez-vous“), die eine verkaufte Auflage von über einer Million in Frankreich erreichte, von einem guten Absatz für die deutsche und die englische Übersetzung ganz abgesehen.

Rechts außen bringt also die erstarkte FN die neogaullistische Mehrheit ins Wanken. Links außen zersetzt die stringente Kritik eines Sonderlings die vorherrschende liberale Weltanschauung und pocht auf die soziale Ungerechtigkeit der Postkrisen-Gesellschaft. Egal, wie man dazu steht, muss man diese Vorzeichen einer Wende ernst nehmen. Das tut sicherlich auch der derzeitige Herr des Elysée-Palastes, Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Trotz aller politischen Inszenierung und trotz aller Reformbemühungen seitens der Regierung sind die Risse an den geistigen Mauern sichtbar geworden. Was ist denn faul im Reiche Sarkozys? Die berühmte Frage Hamlets ist aktuell.

Die Krise hat Sarkozy einen Strich durch die Rechnung gemacht. Frankreich hat sie nicht so gut wie Deutschland überwunden. Das Ziel ist hin, die Produktivität der Industrie und den Arbeitsfleiß der Franzosen aufzuputschen sowie Lebensstandard und Wohlstand zu heben. Es wäre müßig, die lange Liste der Schwachstellen aufzuführen, angefangen mit dem Außenhandelsdefizit, mit der Erweiterung der Einkommensunterschiede und der Erosion des Mittelstandes, mit der in Europa höchsten Jugendarbeitslosigkeit, mit der Vermehrung der Obdachlosen und der Zunahme der Verbrechen in den vorwiegend von Migranten bewohnten Vororten sowie mit geplünderten, tief defizitären Sozialkassen. Ganz zu schweigen vom irren Höhenflug der französischen Immobilienpreise. Hinzu kommt jetzt der Verlust der Traditionspartner in den arabischen Staaten am südlichen Ufer des Mittelmeeres. Es wird für den neubestellten, wenn auch erfahrenen Altaußenminister Alain Juppé nicht einfach sein, die französische Außenpolitik neu auszurichten und die bekannte „arabische Politik“ Frankreichs fortzusetzen.

Die Staatsmacht wirkt wie abgebrannt. Keiner erinnert daran, dass Sarkozy als erster die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und andere zur Eindämmung der Krise aufgerufen hatte und das Schlimmste verhütete. Er zog keine Sympathiepunkte daraus, dass er und sein Premierminister François Fillon gegen einen anhaltenden Straßen- und Streikaufstand der Gewerkschaften und linken Parteien im letzten Herbst die Rentenreform durchsetzten. Sonstige Reformen werden verschwiegen, darunter die Einführung der Hochschulautonomie und die Rentenangleichung im Privat- und Staatssektor. Vergessen werden die Abschaffung der Körperschaftssteuer zur Entlastung der Betriebe, die drastische Reduzierung der in Europa höchsten Zahl von Staatsbediensteten, der verbesserte Stand der Opposition im Parlament, um die öffentliche Debatte zu stärken, die demokratische Erweiterung von Volksabstimmungen. Hinzu kamen Verschärfungen des Strafgesetzbuches und eine Neugestaltung der Gerichtsbarkeit. Der Wille des Volkes wird durch die Einführung von Geschworenen in Strafprozessen hörbar gemacht. Um die Jahrtausendwende erschienen in Frankreich mehrere Bücher über die Dekadenz der Grande Nation. Nach den „Bummelpräsidenten“ Francois Mitterrand und Jacques Chirac weckte der Aktivist Sarkozy neue Hoffnungen. Damit ist es jetzt vorbei. Pessimismus macht sich breit.

Egal, was der Häuptling der Franzosen tut, er steht am Pranger. Man diskutiert in Frankreich nicht mehr über Ideen und Programme, sondern über Personen, deren Missgriffe und Verfehlungen die Medien füllen und Gerichte beschäftigen (in dieser Woche steht Ex-Präsident Chirac vor Gericht), was natürlich das Vertrauen zwischen Regierenden und Regierten unterhöhlt. Zielscheibe Nummer 1 der Karikatur ist nach wie vor Sarkozy. Er hat in einem großen Fernsehinterview im letzten Herbst mit überzeugenden Beispielen von Desinformation den Journalisten die Leviten gelesen. Jetzt rechnen sie mit ihm ab. Sie beschuldigen den begnadeten Anwalt und virtuosen Redner Sarkozy, schlechtes Französisch zu sprechen, was in Frankreich als höchste Sünde gilt. Man nennt ihn „der Kleine“ – nicht etwa wegen seiner geringen Körpergröße, sondern in Anspielung auf den ewigen Verlier Napoleon III.  (1852–1870), der ebenfalls als „Napoleon der Kleine“ bezeichnet wurde. Außer eben der FN und den Neomarxisten und Grünen traut sich keine Partei mehr in Frankreich, Klartext zu reden. An tradierte Werte erinnert kaum jemand aus Angst vor einem Gerichtsverfahren. Man will nicht wie der konservative Journalist Eric Zemmour deswegen verurteilt werden. So bahnt sich eine vorrevolutionäre Stimmung einen Weg. Vor einem Monat fragte der Autor dieser Zeilen Sarkozys engsten Freund Brice Hortefeux, damals noch Innenminister, ob denn der letzte moralische Wert, woran die Franzosen glauben, die „Entrüstung“ sei und ob Frankreich unregierbar werde. Er gab zu erkennen, dass das Pamphlet von Stéphane Hessel geschadet hat.

Das 30 Seiten lange Traktat von Hessel ist eine kommerzielle Glanzleistung des linken Verlagswesens.  Das kleine Machwerk surft auf der Zornwelle der Wutbürger. Als Sohn des polnisch-jüdischen Grandbourgeois aus Paris, Franz Hessel, und der Berlinerin Helen Grund in Berlin 1917 geboren, von seiner versponnenen Mutter extrem antiautoritär erzogen und verwöhnt, beteiligte sich Hessel am französischen Widerstand gegen die Wehrmacht, wurde 1944 festgenommen, gefoltert und entging in Buchenwald nur knapp dem Tod. Nach dem Krieg war der Linksgaullist und Salonmarxist französischer Diplomat. Die Lösungen, die er in seinem Büchlein vorschlägt, sind dem kollektivistischen und marxistischen Programm des damaligen Widerstandes entlehnt. Genau das braucht das überzentralisierte und dirigistische Frankreich nicht. In Osteuropa führte dieses Patentrezept zur Katastrophe.   Jean-Paul Picaper


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