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12.03.11 / Tief beeindruckend, doch bleiben Fragen offen / Umjubelte Premiere in Elmshorn: Gerhart Hauptmanns Theaterstück »Die Ratten« auf der Dittchenbühne

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-11 vom 12. März 2011

Tief beeindruckend, doch bleiben Fragen offen
Umjubelte Premiere in Elmshorn: Gerhart Hauptmanns Theaterstück »Die Ratten« auf der Dittchenbühne

Wer bei der Premiere dabei sein durfte, wird die Personen des Schauspiels nicht vergessen: Frau John, deren „Albertchen“ vor drei Jahren verstarb, kommt durch die Notlage, in der das polnische Dienstmädchen Pauline sich befindet, auf die Idee, das Neugeborene ihrem Mann, dem Mauerpolier John, der stets für längere Zeit in Altona arbeitet, als eigenes Kind unterzuschieben. „Mutter“ John, hervorragend gespielt von Monika Pohle, zieht gegenüber Pauline alle Register: einschüchtern, drohen, angstmachen, Geld geben. Pauline (Katrin Oder) lässt sich auf das Geschäft ein, was sie später bereut. Da sie die Geburt des Kindes auf dem Standesamt gemeldet und Frau John als Pflegemutter angegeben hat, schiebt diese ihr ein falsches Kind, das vernachlässigte der kokainsüchtigen Nachbarin Knobbe (Melanie Stasinski), unter. Dieses Kind stirbt. Unfreiwillige Zeugen der Szene sind  Theaterdirektor Hassenreuter (Ralf Skala), seine Frau (Brigitte von Werder-Geiger), beider Tochter Walburga (Hanna Maack) und Erich Spitta (Malte Sachtleben), der Walburga liebt und Schauspieler werden möchte.

Der parallel verlaufende komödiantisch gespielte Handlungsstrang hebt die Wirkung der auf ein tragisches Ende zusteuernden Haupthandlung nicht auf. Im Gegenteil: Er erschwert (oder erleichtert) die Antwort auf die Frage: Wer oder was sind die Ratten? Vater John ahnt, dass seine Frau kein reines Gewissen hat. Ein Hausmeister (Björn Oberhössel) fungiert als Zuträger. Durch den mittellosen Spitta, der mit seinem Vater, einem Theologen, gebrochen hat, kommt ans Licht, dass Frau John „nebenbei“ auch Geldverleiherin ist, und Selma, die minderjährige Tochter der Knobbe (Wiebke Kahns), verstrickt sich in Widersprüche, wenn es um die beiden Säuglinge geht.

Nichts ist wie es zu sein scheint. Auch Theaterdirektor Hassenreuter spielt ein doppeltes Spiel, als ihm die ein Engagement suchende Schauspielerin Rütterbusch (Julia Westedt) begegnet. Zufällig belauscht seine Tochter Walburga diese Szene, erkennt die Doppelmoral und ist erschüttert. Das Idealbild, das ihr Vater ihr war, ist zerbrochen. Die letzte, unerwartete Zuspitzung erfährt die Handlung dadurch, dass Frau John ihren kleinkriminellen Bruder Bruno (Olaf Zywietz) auffordert, Pauline, die wegen ihres Kindes keine Ruhe gibt, einzuschüchtern. Bruno tötet Pauline. Frau John erkennt, was sie getan hat, sieht, dass es kein zweites „Albertchen“ für sie gibt. Sie verflucht ihren Mann und setzt ihrem Leben ein Ende, indem sie sich vor die Straßenbahn wirft.

Der Zuschauer verlässt dieses von Vilja Neufeldt inszenierte Stück tief beeindruckt, doch nicht ohne Fragen. Was bezweckt die Regisseurin damit, dass alle Agierenden nackte Füße zeigen?

Anders als bei der Uraufführung von Hauptmanns Theaterstück vor 100 Jahren, die ausgepfiffen wurde, verdiente hier die Ensembleleistung der (Laien-)Schauspieler Applaus. Diese Aufführung macht die Zeitlosigkeit der Handlung und die Aktualität der Thematik deutlich. Die jungen Leute im Publikum verließen die Premiere mit besonderem Gewinn. Ihnen diente der Besuch der „Ratten“ als Vorbereitung auf das Abitur. Die nächsten Vorstellungen an der „Dittchenbühne“ in Elmshorn, dem einzigen ostpreußischen Theater in Deutschland, sind bereits fast ausverkauft.   Ute Eichler


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