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12.03.11 / Nichts als Fiktion / Europäische Union beruht auf einer unrealistischen Gemeinschaftsidee

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-11 vom 12. März 2011

Nichts als Fiktion
Europäische Union beruht auf einer unrealistischen Gemeinschaftsidee

Jochen Bittner, „Zeit“-Korrespondent bei Nato und EU in Brüssel, stilisiert seine EU-Kritik „So nicht, Europa!“ journalistisch gekonnt nach drei Gesichtspunkten: „Kleines zu groß und Großes zu klein“, „Weiches zu hart und Hartes zu weich“, „Oben zu schnell und unten zu langsam“. Sein Stil ist locker, manchmal effekthaschend, manchmal von der intelligenten Ironie eines Beobachters gekennzeichnet. Grundsätzlich legt er Wert auf die Feststellung, dass er ein EU-Kritiker und nicht etwa ein EU-Gegner sei. Überhaupt gehe es in Brüssel viel zu harmoniesüchtig zu, wo es doch gerade im Zusammenhang von Familien das Natürlichste sei, sich auch einmal zu streiten. Dazu komme noch, dass in Brüssel ein besonderes Biotop von Integrations-Enthusiasten entstanden sei, die Integration als einen Wert an sich betrachteten und alle, die ihre Auffassungen nicht teilten, geradezu als Häretiker abstempelten und auch dementsprechend behandelten. So komme ein „Raumschiff“ ohne Bodenhaftung zustande. Ein solches Raumschiff mit abgehobener Regierungs-Besatzung an Bord  gebe es zwar in anderen wichtigen Metropolen auch, etwa in Paris, London oder Berlin. Doch da bestehe immerhin noch eine nationale Kontrolle, die sich in Wahlen und in kritischer journalistischer Begleitung geltend mache. Aber die Berichterstattung aus Brüssel kämpfe mit einem konstanten Desinteresse des Publikums in den einzelnen Nationalstaaten, weil die EU eben maßlos kompliziert funktioniere, in ihren Regelungsgegenständen „unsexy“ sei, keine griffigen Skandale biete infolge der Harmoniesüchtigkeit ihres bestimmenden Personals und weil im Ernstfall keine Verantwortlichen festgemacht werden könnten. Die Anonymisierung von Verantwortung vermittels des EU-Apparates entmutige sowohl den Willen zur Kontrolle als auch das Interesse überhaupt.

Die Aktivitäten der EU würden nur unter dem Gesichtspunkt wahrgenommen, was sie dem einzelnen Mitgliedsstaat nützten, so der Autor. Das sei aber auch in Ordnung so, denn die EU könne sich nur auf diese Weise legitimieren. Die existierenden Nationalstaaten seien als Ordnungsrahmen keinesfalls erledigt, letztlich auch nicht durch die chauvinistischen Exzesse des vergangenen Jahrhunderts delegitimiert, wenn nur die Liebe zur eigenen Nation nicht zum Hass gegen andere Nationen führe. Das ist so einfach und realistisch, dass der Rezensent nicht anders als zustimmen kann.

Damit zeigt der Autor allerdings auch seine Skepsis gegenüber der Integration als einem Wert an sich und befindet dabei: „Der EU-Parlamentarismus stützt sich auf eine politischer Gemeinschaftsidee, die bis auf weiteres nichts als eine Fiktion ist.“ Denn die diversen Fraktionen im EU-Parlament seien äußerst heterogen, weil sie, auch wenn sie sich grundsätzlich als „konservativ“, „liberal“ oder „sozialistisch“ definieren, am Ende doch die ganze Unterschiedlichkeit der politischen Kulturen in ihren Herkunftsländern aushalten müssen. Folgt man dem Autor hier, dann relativiert sich das gängige Argument, das Straßburger Parlament sei ein Motor der Demokratisierung innerhalb der EU, nicht unerheblich. Der Vertrag von Lissabon habe die EU nicht funktionsfähiger gemacht.

Und das „Weimarer Dreieck“, das in diesem Jahr zwischen Paris, Berlin und Warschau wiederbelebt werden soll, könne die EU mehr belasten, als politisch möglich ist, zumal Frankreich im November 2010, wohl erst nach Abschluss der Arbeit an dem hier rezensierten Werk, mit Großbritannien eine umfassende militärische Kooperation eingeleitet hat, die den Historiker in ihrer Dimension schon fast an die „Entente Cordiale“ vor dem Ersten Weltkrieg erinnert. Besonders auf dem militärischen Sektor bewahrheitet sich, dass die „politische Gemeinschaftsidee bis auf weiteres nichts als eine Fiktion ist“.

Noch einmal: Der Tenor des Buches ist nicht die Häme, sondern das Bedauern darüber, das aus der gebotenen realistischen Bestandsaufnahme folgt und das vielfach zum Nachdenken anregt – weshalb das Buch, eben weil es keine Hochglanz-Broschüren-Visionen einer besseren europäischen Welt vorträgt, allen politisch Interessierten nur empfohlen werden kann.             Bernd Rill

Jochen Bittner: „So nicht, Europa! – Die drei großen Fehler der EU“, dtv, München 2010, kartoniert, 288 Seiten, 15,40 Euro


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