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19.03.11 / Freiheit ja, nur zu welchem Preis?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-11 vom 19. März 2011

Gastbeitrag
Freiheit ja, nur zu welchem Preis?
von Prof. Dr. mult. Nikolaus Knoepffler

Ein Mensch hat sich verlaufen. Er hat nichts zu trinken, findet kein Wasser und ist am Verdursten. Ein Glas Wasser hat damit für ihn einen extrem hohen Wert. Warum empfinden wir es als ungerecht, wenn hier der übliche Marktmechanismus gelten könnte, also jemand, der Wasser hat und als einziger auf diesen Verdurstenden trifft, ein Glas Wasser nur an den Verdurstenden verkauft, wenn dieser ihm all sein Vermögen überschreibt? Ist dies vielleicht ein Grund hierfür, dass wir gesetzliche Bestimmungen haben, die einen derartigen Preis als sittenwidrig verbieten, weswegen in Deutschland derjenige, der das Glas Wasser zu diesen hohen Preis erworben hat, sein Geld wieder einklagen könnte. Umgekehrt haben nur wenige ein Problem damit, wenn jemand ein reines Lifestyle-Produkt wie Red Bull produziert und damit ein Milliardenvermögen anhäuft. Wer dies tut, kann sich vielfach der Anerkennung der meisten Menschen sicher sein. Niemand ist schließlich gezwungen, dieses Produkt zu kaufen und dadurch die betreffende Person, die eine einfache wie geniale Idee hatte, damit noch etwas reicher zu machen. Ein solcher Unternehmer hat eine Steuer zu zahlen, über deren Höhe sicherlich gestritten werden kann, aber nur wenige würden verlangen, dass es für den betreffenden Unternehmer eine Gewinnobergrenze geben sollte.

Davon zu unterscheiden ist noch ein anderer Fall, der in den vergangenen Jahren für vielfache Diskussion sorgte. Angestellte mancher Unternehmen verdienen teilweise das 200-fache dessen, was ein Durchschnittsverdiener desselben Unternehmens erhält. Wenn man die unternehmerische Freiheit ernst nimmt, so scheint dies erst einmal in Ordnung zu sein. Ein Unternehmen versucht, die besten Angestellten zu bekommen und „ersteigert“ diese sozusagen mit Hilfe eines üppigen Verdienstangebots. Niemand zwingt ein privates Unternehmen dazu, derartige Verträge zu schließen. Warum also sollte ein derartiges Vorgehen, wie die heftige Managerschelte der letzten Jahre nahelegte, unberechtigt sein? Wir haben es hier doch gerade nicht mit einem Fall zu tun, bei dem ein Unternehmen erpressbar ist. Es kann auch andere Angestellte suchen. So hat beispielsweise der Jenaer Unternehmer Ernst Abbe bereits Ende des 19. Jahrhunderts den Lohn der „Beamten“ – man könnte modern sagen, auch wenn dies nicht exakt stimmt, der Vorstandsmitglieder – an den durchschnittlichen Lohn der Arbeiter, die mindestens seit drei Jahren im Unternehmen beschäftigt waren, geknüpft. Niemand im Unternehmen sollte mehr als das zehnfache Einkommen eines Durchschnittsverdienstes erhalten dürfen, ausgenommen natürlich die Besitzer. Dabei hatte er ausdrücklich abgelehnt, besonderen Spitzenkräften mehr zu bezahlen. Besser sei es dann, auf derartige Personen und ihre Arbeitsleistung zu verzichten, war sein Credo. Allerdings scheint die Entwicklung in vielen Staaten zu zeigen, dass Abbes Vorgehen nicht Schule gemacht hat. Die Gehälter der Topleute sind in den letzten zwei Jahrzehnten förmlich explodiert, während die Durchschnittsgehälter inflationsbereinigt kaum gestiegen sind. Dies gilt auch für Sportarten wie Fußball oder für die Entertainmentbranche.

Geht man von der moralischen Grundüberzeugung aus, dass Menschen möglichst viel Freiheit haben sollten und die Grenze ihrer Freiheit in der Freiheit der anderen besteht, so scheint ein solches Vorgehen vielleicht nicht wünschenswert zu sein, aber dennoch der Freiheit der Akteure geschuldet zu werden. Die Eigentümer privater Unternehmen sollten die Freiheit haben, festzusetzen, was sie wem bezahlen möchten. Wie weit die einzelnen Staaten dann durch eine kluge Steuerpolitik diese sehr gut bezahlten Angestellten sozialpflichtig machen können, lässt sich sehr schwer einschätzen. Sind 45 Prozent der richtige Steuersatz oder sollten es mehr oder weniger Prozente sein? Hier wage ich keine Antwort zu geben. Nur gilt es zu bedenken, dass derartige Steuersätze zumindest in gewissem Rahmen nicht nur national, sondern auch international, zumindest EU-weit abgestimmt werden sollten. Ansonsten schafft man einen hohen Anreiz, dass reichere Personen ihren Wohnsitz ins steuergünstigere Ausland verlegen.

Dennoch muss es eine wesentliche Ausnahme von dieser Freiheitsregel geben, die gesellschaftlicher Gerechtigkeit geschuldet ist, wenn nämlich Unternehmen wie bestimmte Banken oder Großarbeitgeber wie General Motors als systemrelevant eingeschätzt werden. Ein Unternehmen gilt dabei als systemrelevant, wenn der Staat eingreift, um seinen Bankrott zu verhindern. Ansonsten würde nämlich noch größerer Schaden entstehen. In diesem Fall scheint das freie Spiel des Aushandelns von Gehältern einschließlich aller Zulagen in hohem Maß als unfair. Warum? Einfach zusammengefasst, weil Gewinne in hohem Maß privatisiert, Verluste dagegen in einem erheblichen Umfang von der Allgemeinheit getragen werden. Alle Steuerzahler müssen dafür einstehen. Wenn das jedoch so ist, dann ähneln die Verantwortlichen in systemrelevanten Unternehmen Menschen, die mit – im Falle von Banken – geliehenem Geld riskante Wetten eingehen können. Sie sind damit Spielern in einem Casino vergleichbar. Doch im Unterschied zum normalen Casinobesucher kommen sie auch bei Totalverlust des eingesetzten Vermögens sehr gut „aus dieser Nummer“. Für ihre Arbeit bekommen sie noch eine satte Abfindung. Für die Verluste müssen sie nicht einstehen, wenn sie die geltenden Gesetze befolgt haben. Dazu kommen die hohen Bonuszahlungen in guten Zeiten, die in schlechten nicht zurückgezahlt werden müssen. Deshalb schlage ich für derartige Unternehmen, aber auch alle „Unternehmen“, die von Steuer- oder Gebührenzahlern finanziert werden wie beispielsweise das öffentlich-rechtliche Fernsehen oder gesetzliche Krankenkassen, folgende „Therapie“ vor: So, wie wir Wucherzinsen und Wucherpreise als sittenwidrig verbieten, so sind Entlohnungssysteme abzulehnen, die einen ähnlichen Charakter zu haben scheinen. Darum sollte derartigen Unternehmen zwar möglichst viel Freiheit in ihren Gehaltsgestaltungsspielräumen zugestanden werden, aber der Staat hätte die Aufgabe, ein Ausufern zu verhindern. Der Gesetzgeber müsste also Gehaltsobergrenzen festlegen. So könnten sich beispielsweise die Staaten der EU (idealerweise alle Staaten) einigen, Spitzengehälter durch eine einheitliche Gesetzgebung zu „deckeln“, beispielsweise in Abhängigkeit von der Bedeutung des jeweiligen Unternehmens.

Wenn wir von einem Gerechtigkeitsverständnis ausgehen, wonach einerseits möglichst viel Freiheit zu gewähren ist und Leistung honoriert werden soll, andererseits aber die Freiheit und auch das Honorieren von Leistung in einen gesellschaftlichen Gesamtrahmen einzubetten sind, benötigen wir eine Politik, die in größerem Maß die Interessen und das Gerechtigkeitsempfinden auch der „kleinen“ Leute berücksichtigt. Es geht also um die richtigen politischen Steuerungssignale, ohne die Freiheit zu beschädigen.

 

Prof. Dr. mult. Nikolaus Johannes Knoepffler, Lehrstuhl für Angewandte Ethik und Leiter des Bereichs Ethik in den Wissenschaften (Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften), Leiter des Ethikzentrums der Universität Jena.


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