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26.03.11 / Atommeiler vor Berlins Toren / Polen plant drei neue Kernkraftwerke – zehn mögliche Standorte in der Neumark

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-11 vom 26. März 2011

Atommeiler vor Berlins Toren
Polen plant drei neue Kernkraftwerke – zehn mögliche Standorte in der Neumark

Der Bau polnischer Atomkraftwerke könnte das linke Spektrum und die Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland auf eine harte Probe stellen. Die möglichen Standorte sind teilweise nur 85 Kilometer von Berlin entfernt. Mit dem Bau der ersten Reaktorblöcke wird ab 2012 in Zarnowitz in der Nähe von Danzig begonnen.

Atomenergie sei für den Menschen keine adäquate Form der Energieerzeugung – die Meinung des Brandenburger Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) findet nicht überall Zustimmung. Der polnische Premier Donald Tusk hält an seiner energiepolitischen Strategie fest. Nach seinem Konzeptpapier „EPP 2030“ sollen drei Kernkraftwerke errichtet werden, die mittelfristig 15 Prozent des Strombedarfs im Nachbarland decken sollen. Geplant sind zunächst vier Reaktorblöcke in zwei Anlagen.

Von 27 geprüften Standorten, die für den Bau eines Atomkraftwerks geeignet sein sollen, liegen allein zehn in der Neumark, in Hinterpommern oder Westpreußen – in Nähe des bundesdeutschen und westeuropäischen Strommarktes also. Auf der Liste des polnischen Wirtschaftsministeriums stehen unter anderem die Orte Klempnitz an der Warthe, Greifenhagen, Hanseberg, Brusenfelde und Buddenbrock. Als Standort für die ersten beiden Reaktorblöcke scheint Zarnowitz in der Nähe von Danzig schon festzustehen.

Schon in den 80er Jahren hatten die Polen am Zarnowitzer See mit dem Bau eines Atomkraftwerks sowjetischer Bauart begonnen. Nach dem Tschernobyl-Unglück und massiven Protesten der Bevölkerung kam es im April 1986 zum Baustopp. Schon ab 2012 will hier der polnische Energieversorger PGE die Bauruine, in der Bevölkerung „Zarnobyl“ genannt, wieder zum Leben erwecken. Bis 2020 sollen zwei Reaktorblöcke mit einer Leistung von 3000 Megawatt errichtet werden – geplante Betriebsdauer: 60 Jahre. Angesichts der geschätzten neun Milliarden Euro Kosten sucht die polnische PGE einen ausländischen Partner, der sich an einem zu gründenden Konsortium mit 49 Prozent beteiligen soll. Die Entscheidung, wer als Partner ins Boot geholt wird, hat politische Brisanz. In der engeren Wahl stehen offenbar Anbieter aus Frankreich oder den USA. Doch auch Japan hat Interesse, seine Technik für Atomkraftwerke zu exportieren, Südkorea soll bereits eine konkrete Anfrage polnischer Stellen erhalten haben.

Mit der neuen polnischen Energiepolitik soll die Stromerzeugung aus Kohle, derzeit 90 Prozent, verringert werden. Mit der Wahl des Standorts Zarnowitz, also fernab von Oder und Neiße, für das erste Atomkraftwerk scheint die polnische Seite einen Konflikt mit der deutschen Anti-Atomkraft-Bewegung vermeiden zu wollen. Ob dies gelingt, wird sich 2012 mit dem Baubeginn zeigen. Gegen die Baupläne im hinterpommerschen Greifenhagen – bis zum vorigen Jahr noch Favorit für den ersten Standort eines Atomkraftwerks – hatte 2010 eine deutsche Bürgerinitiative „Atomfrei leben in der Uckermarck“ mobil gemacht. Zum Pfingstfest protestierten die Aktivisten an der Oderbrücke in Mescherin und veranstalteten ein sogenanntes „Deutsch-polnisches Anti-Atom-Camp“.

Die Nähe zu Berlin und dazu noch die Nachbarschaft zum Naturschutzpark „Unteres Odertal“ hätte Greifenhagen leicht zu einem Mekka der deutschen Anti-Atomkraft-Bewegung werden lassen. Dietmar  Woidke, Minister im Platzeck-Kabinett, machte damals vor besorgten Wählern und Umweltschutzgruppen einen ziemlich hilflosen Eindruck. Man werde in der „gebotenen Form“ seine Einwände in Warschau geltend machen – allerdings sei die polnische Regierung „frei und souverän in ihrer Energiepolitik“. Die Aufgabe der Baupläne an diesem Standort ist von Politikern in Berlin und Brandenburg dementsprechend mit Erleichterung aufgenommen worden.

Dass mit der Entscheidung für Zarnowitz die Standorte in Odernähe wirklich vom Tisch sind, wie von der Berliner und Brandenburger Politik gemeldet wurde, entspricht allerdings nicht der Wahrheit. Mit der Entscheidung für Zarnowitz haben die polnischen Behörden bisher keinen der verbliebenen Standorte für den Bau der weiteren Kraftwerke ausgeschlossen – Wiedervorlage also nicht ausgeschlossen.

Das gilt auch für die möglichen Standorte Klempnitz (gelegen zwischen Landsberg an der Warthe und Posen, in 200 Kilometern Entfernung von Berlin) oder das neumärkische Hanseberg, das nur sieben Kilometer von Schwedt entfernt liegt. Diese Standorte dürften erhebliches Mobilisierungspotenzial auf deutsche Umweltschutzgruppen haben.

Auszuschließen ist nicht, dass das polnische Wirtschaftsministerium bei weiteren Standortplanungen Konflikten gleich aus dem Weg gehen wird. Anbieten würden sich strukturschwache Gegenden weiter östlich oder eine Beteiligung an einem Neubau eines Kernkraftwerks der baltischen Länder. In Litauen gibt es Pläne für das Kernkraftprojekt Visaginas, das neben dem stillgelegten Kraftwerk Ignalina errichtet werden soll. Diese Standortplanungen würde es Vertretern der Grünen, der SPD und Linken ermöglichen, weiterhin Anti-Atomkraft-Rhetorik zu betreiben, ohne in Gefahr zu geraten, ernsthaft eigene Interessen gegenüber polnischen Positionen vertreten zu müssen.             Norman Hanert


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