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02.04.11 / »Gefühlte Sicherheit« wichtiger als Fakten / Etikkommission soll über Zukunft der Kernkraft mitentscheiden – Atomgegner unter sich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-11 vom 02. April 2011

»Gefühlte Sicherheit« wichtiger als Fakten
Etikkommission soll über Zukunft der Kernkraft mitentscheiden – Atomgegner unter sich

Der kürzlich aus der Taufe gehobene „Rat der Weisen“ zur Energiepolitik soll die Kehrtwende der Bundesregierung in der Atompolitik vermitteln. Doch nach den für Schwarz-Gelb verlorenen Landtagswahlen ist guter Rat teuer. Immer mehr Experten zweifeln am Sinn und der Zusammensetzung des Ethikrates zur Atompolitik.

Zufriedene Gesichter setzten Angela Merkel und ihre Minister Rainer Brüderle und Norbert Röttgen auf, als sie vor zwei Wochen die Gründung der „Ethikkommission für sichere Energieversorgung“ bekannt gaben. Ein Tandem aus dem ehemaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) und dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Matthias Kleiner, soll die Arbeitsgruppe von insgesamt 14 Personen leiten, unter ihnen Vertreter der Industrie, der Gesellschaftswissenschaften und der großen Kirchen. Aktive Politiker gehören dem Gremium nicht an, das erörtern soll, wie ein Energiewandel mit Augenmaß vollzogen werden kann.

Die Reaktorsicherheitskommission beim Umweltministerium wird weiterhin die technische Seite der Atomkraft bewerten, während die Ethikkommission die gesellschaftlichen und wahltaktischen Risiken einschätzen soll. Die neue „gefühlte Sicherheitslage“ der Bevölkerung rund um die Atomtechnologie gilt als Gründungsimpuls des Gremiums. Daher sind fast ausschließlich Vertreter versammelt, die einen schnelleren Atomausstieg schon im Vorfeld gefordert haben. Aus diesem Grund sind beispielsweise die drei kirchlichen Vertreter, der evangelische Landesbischof Ulrich Fischer, der Präsident des katholischen Zentralkomitees (ZDK) Alois Glück (CSU) und Kardinal Reinhard Marx (München) in diese Kommission berufen worden.

Auch unter Ethikexperten bei den Theologen ist man über die Frage des Atomausstiegs uneins. Die Position des katholischen Dogmatikprofessors Peter Schallenberg (Paderborn), dass die „Atomtechnologie den Menschen abschaffe“, wird nur von wenigen geteilt. Schallenberg scheute in seinem Beitrag für die „Tagespost“ auch nicht vor einer Parallele zur Menschenvernichtung unter den Nationalsozialisten zurück. Dies lehnen andere Theologen mit dem Hinweis darauf ab, dass die „schöpfungstheologische“ Basis für solche Aussagen nur sehr dünn sei. Im Buch Genesis heiße es lediglich, der Mensch solle die Erde „bebauen und bewahren“.

Bereits jetzt gibt es warnende Stimmen, die die einseitige Auswahl der Mitglieder dieses Gremiums als Geburtsfehler sehen. Dabei wären gerade Ausgewogenheit und gutes Argumentieren gefragt, wenn der verprellten Wählerschaft der schwarz-gelben Koalition der plötzliche Schwenk zu verkürzten Laufzeiten tatsächlich vermittelt werden sollte. Viele Wähler denken nach wie vor, dass nicht alles, was vor einem halben Jahr behauptet wurde, nun falsch sein könne. Ein Jahrhundertereignis wie das Beben in Japan, verbunden mit 14 Meter hohen Tsunami-Wellen und einer unzureichenden Wartung der Anlagen, werde es in Deutschland nicht geben.

Eine Reihe von Umweltexperten und Wirtschaftsfachleuten plädiert – auch nach dem japanischen Reaktorunglück – sogar für einen Neubau von Atommeilern. Sie argumentieren, dass ein überstürzter Ausstieg aus der Atomkraft gravierende Konsequenzen nicht nur für die Stromrechnung von Privathaushalten, sondern auch für die Staatsverschuldung habe. Steuerexperten weisen auf hohe staatliche Subventionen in erneuerbare Energien, wegfallende Einnahmen aus der Brennelementesteuer und den weniger wettbewerbsfähigen Industriestandort Deutschland hin.

Der australische Klimaforscher Barry Brook gilt als einer der prominentesten Kritiker der als „hysterisch“ bewerteten Reaktion der deutschen Regierung. Der Direktor für Klimawissenschaften am Umweltinstitut der Universität Adelaide gilt als „grüner Atomfreund“ und zeigte sich vom Fukushima-Unglück völlig unbeeindruckt. In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ warnte er Deutschland vor einem Ausstieg aus der Atomenergie und plädierte für den Bau neuer Atomkraftwerke. Deutschland dürfe sich nicht noch stärker in die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl oder Gas begeben, was bei einem Atomausstieg unausweichlich wäre. Die erneuerbaren Energien aus Sonne oder Wind könnten den Bedarf der deutschen Volkswirtschaft nicht alleine befriedigen.

Brook warnt auch vor der Landschaftszerstörung durch die erneuerbaren Energien. Allein 80000 neue Windkrafträder würden benötigt, um die 17 Atommeiler zu ersetzen. Auch das Argument der ungelösten Endlagerung der Brennstäbe lässt Brooks nicht gelten. Moderne Atomreaktoren würden nur „winzige Spuren in der Natur verglichen mit Windparks, Solaranlagen und Pumpspeicherwerken“ hinterlassen. Mit modernen Technologien („fast reactor technolgy“) würde der Brennstoff kontinuierlich recycelt, wie dies bereits in den USA und Indien geschehe. So lasse sich Uran und Plutonium viel effizienter nutzen; infolgedessen sinke die Strahlung der Abfälle rapide. Nach 300 Jahren seien die Abfälle aus „schnellen Reaktoren“ so „unschädlich wie ein Felsbrocken“. H. E. Bues


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