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02.04.11 / Schwellenland am Scheideweg / Die Wirtschaft ist in Vietnam gewachsen, doch nun will die Bevölkerung mitbestimmen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-11 vom 02. April 2011

Schwellenland am Scheideweg
Die Wirtschaft ist in Vietnam gewachsen, doch nun will die Bevölkerung mitbestimmen

Die Schockwellen der politischen Erdbeben in Nordafrika und am Golf haben Vietnam erreicht. Der bekannte Dissident Nguyen Dan Que wurde festgenommen, weil er zum Aufstand aufgerufen hatte. Unter der „ruhigen“ Oberfläche des Landes gibt es gravierende Probleme – wie die Kluft zwischen Arm und Reich –, die zu sozialen Unruhen führen könnten. Auf der lokalen und regionalen Ebene gab es bereits in letzter Zeit erste bescheidene Ansätze für eine bessere Beteiligung der Bevölkerung bei Entscheidungsprozessen. Solange die Wirtschaft wächst, kann das Ein-Parteien-Regime vermutlich die innere Stabilität wahren.

Nach einer wechselhaften Geschichte – zum Beispiel den ver-lustreichen Indochina-Kriegen gegen Frankreich und die USA – bilden die 90 Millionen Vietnamesen heute eine respektable politische und wirtschaftliche Regionalmacht. Ausschlaggebend für den wirtschaftlichen Aufschwung war die Entscheidung der alleinherrschenden kommunistischen Partei, Mitte/Ende der 80er Jahre den Wechsel von der Planwirtschaft zu einer „gelenkten“ Marktwirtschaft zu wagen, um den drohenden wirtschaftlichen Kollaps zu vermeiden.

Die Entstehung zahlloser kleinerer und mittlerer privater Unternehmen wurde ermöglicht, die heute mehr zur Wirtschaftsleistung beitragen als die maroden staatseigenen Betriebe, von denen sich die Partei noch Einfluss und Kontrolle über die Wirtschaft verspricht.

Nach der globalen Weltwirtschaftskrise sind die Zuwachsraten des Bruttosozialproduktes wieder stabil bei zirka acht Prozent pro Jahr. Dazu trägt auch der Tourismus bei, der 2010 mit fünf Millionen Besuchern einen neuen Rekord erzielt hat. Vergleichsweise niedrige Kosten fördern den Tourismus, während die niedrigen Lohnkosten Vietnam zu einem Billiglohnland gemacht haben, das für das benachbarte China eine Konkurrenz darstellt und ausländische Investoren anzieht. Trotzdem ist die Außenhandelsbilanz für Vietnam negativ. Die Importe überwiegen die Exporte deutlich. Dieser Unterschied ist auf die höherwertigen Güter im Import zurückzuführen.

Allerdings gibt es in Vietnam gravierendere Probleme für die zukünftige Entwicklung: Schlechte Regierungstätigkeit, Ein-Parteiensystem, hohe Inflationsrate von elf bis 15 Prozent, hohe Arbeitslosigkeit von zirka 20 Prozent, Korruption, Bürokratie und eine mangelhafte Verkehrsinfrastruktur.

Da Vietnam in seiner wirtschaftlichen Weiterentwicklung weitestgehend von ausländischen Inves-toren abhängig ist, muss das Land die genannten Schwachstellen in kurzer Zeit beseitigen. Im Vordergrund muss die bessere Bildung und Ausbildung der Jugend – 30 Prozent unter 14 Jahren – stehen. Sie ist zugleich Chance und Gefahr für Vietnam. Der Staat muss dafür sorgen, dass sie Aussicht auf eine bessere Zukunft bekommt, sonst könnte sie sich zu einem bedrohlichen Konfliktpotenzial entwickeln. Die unzureichende Bildung der Jugend – auch erkennbar an der hohen Analphabetenrate von bis zu 30 Prozent – ist bereits heute ein Hemmnis für ausländische Investitionen.

Geopolitisch ist Vietnam von wachsender Bedeutung, die vor allen Dingen in seiner Nachbarschaft mit China begründet ist. Das Südchinesische Meer bildet zwischen China und Vietnam eine fragile Konfliktzone. Es geht dabei vor allem um die Spratley- und Paracelinseln, weil es dort beträchtliche Vorkommen an Öl und Gas gibt. China bezeichnet das Südchinesische Meer als „Hauptinteresse“ – in seiner politischen Bedeutung mit Taiwan und Tibet vergleichbar – und hat bereits einige Inseln des Archipels militärisch besetzt. Die USA reklamieren als asiatisch-pazifische Macht freien Zugang zu diesem Meer, was sie 2011 mit einem Seemanöver mit Vietnam unterstrichen haben.

Es ist erstaunlich, dass sich Vietnam und die USA zu strategischen Partnern entwickelt haben, um der zunehmend aggressiveren Politik Chinas in Südostasien zu begegnen. Der rapide Ausbau der chinesischen Marine wird in Südostasien mit Misstrauen betrachtet. Er führt zu neuen Allianzen.

Es gibt zudem einen weiteren Konfliktherd Chinas mit Laos, Kambodscha und Vietnam – es ist der Mekong – die „Mutter aller Flüsse“. Er versorgt die drei genannten Länder aus dem chinesischen Hochgebirge mit ausreichend Wasser und wertvollen Sedimenten. China hat auf seinem Territorium bereits drei von acht geplanten Staudämmen im Mekong gebaut. Die Nachbarn befürchten, dass sich die Staudämme negativ auf ihre Fisch- und Landwirtschaft auswirken und neue Abhängigkeiten von China schaffen.

Dieter Farwick


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