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© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-11 vom 02. April 2011
Der »Vater« des Michelin-Männchens Nicht nur Auto- und Zweiradfahrern ist „Michelin“ ein Begriff. Schließlich ist der französische Reifenhersteller mit seinen rund 100000 Mitarbeitern ein ganz großer in der Branche, nach Bridgestone sogar der größte. Gegründet wurde er von dem am 16. Januar 1853 geborenen Franzosen André Michelin und dessen sechs Jahre jüngerem Bruder Édouard. Am 28. Mai 1889 riefen die beiden in der Hauptstadt der französischen Region Auvergne, Clermont-Ferrand, die Gesellschaft Michelin et Cie ins Leben. Sinn und Zweck des Unternehmens war die Herstellung von Kautschukprodukten. Zwei Jahre später hatte in Clermont-Ferrand ein Radfahrer einen Reifenschaden. Er fuhr einen an die Felgen geklebten englischen Luftreifen und wusste nicht, wie er den reparieren sollte. So ging er zur Michelin-Fabrik, die schon damals für ihre Kautschukprodukte bekannt war. Edouard Michelin nahm selbst die Reparatur des Reifens vor. Sie dauerte drei Stunden, noch einmal sechs Stunden dauerte das Trocknen. Michelin machte eine Probefahrt und entdeckte den unglaublichen Komfort des Luftreifens. Das war der Initialfunke für die Entwicklung des heutigen Weltunternehmens. Edouard Michelin sah das riesige Marktpotenzial für Luftreifen, sobald ein grundlegendes Problem gelöst sein würde: Jeder Radfahrer müsste in der Lage sein, einen beschädigten Reifen schnell und einfach zu reparieren! Die Forschungen und Versuche, die Michelin in der Folgezeit betrieb, führten 1891 zur Anmeldung eines Patents für den demontierbaren Luftreifen. Das Produkt war erfolgreich. In den industriellen Zentren Europas und der USA entstanden Michelin-Niederlassungen. Das Stammwerk in Clermont-Ferrand zählte 1906 bereits 4000 Beschäftigte. In London gründete Michelin die Michelin Tyre Co. Ltd. und in Deutschland die Michelin Pneumatik AG. 1907 entstand in Milltown das erste Michelin-Werk Nordamerikas. 1908 produzierte Michelin die ersten Zwillingsreifen für Autobusse und Lastkraftwagen, um höhere Traglasten möglich zu machen. Im gleichen Jahr verstärkte Michelin sein Engagement für die Luftfahrt, stiftete zwei Große Preise zu ihrer Förderung, baute im Ersten Weltkrieg sogar selber Flugzeuge. Wer auf den eigenen vier Rädern die Fremde bereits, benötigt außer Reifen auch Informationen. Ein Jahr nach der ersten Tour de France für Autos und passend zur Pariser Weltausstellung von 1900 erschien der erste rote Michelin-Führer in einer Auflage von 35000 Exemplaren. Kostenlos wurde er an Autofahrer verteilt. Er gab das Modell ab für weitere Automobil-Führer, die zwischen 1904 und 1914 für Europa, Nordafrika, Ägypten und andere Länder herauskamen. 1908 gründete André Michelin sein Pariser Verlagsprojekt „Routenplanungsbüro“ und startete einen regen Informationsaustausch über Reisen und Reiserouten. Hier konnten sich Reiselustige über Reiserouten in vielen Ländern kostenlos informieren, ebenso über Straßenzustände, Sehenswürdigkeiten sowie Hotels und Restaurants. 1910, kurz nach einer Petition an die Nationalversammlung, bei der die Nummerierung der französischen Straßen vorgeschlagen worden war, brachte Michelin die erste Straßenkarte heraus. 1926 wurde der erste Michelin-Stern für gutes Essen außerhalb der Hauptstadt vergeben. Im selben Jahr erschien von Michelin der ersten „Guide régional touristique“ für die Bretagne. Über alledem wurde das Kerngeschäft mit Luftreifen nicht vergessen. 1923 entstand der „Comfort“, der erste Niederdruckreifen für Personenkraftwagen, der es auf eine Laufleistung von 15000 Kilometern brachte. Im Jahr 1930 erhielt Michelin sein Patent auf einen Reifen mit einvulkanisiertem Schlauch. Das war der Vorgänger des „Tubeless“, des schlauchlosen Reifens. Ebenfalls 1930 erfand Michelin das Zick-Zack-Profil, das deutlich mehr Grip liefert. 1931 nahm in Karlsruhe das erste deutsche Werk die Produktion von Michelin-Reifen auf. Im selben Jahr, am 4. April 1931 starb André Michelin, neun Jahre vor seinem Bruder Édouard. Vorher, nämlich bereits 1894, hatte André allerdings noch den weltberühmten Sympathieträger des gemeinsamen Unternehmens geschaffen. Als sein Bruder auf der Weltausstellung in Lyon einen Stapel unterschiedlich großer Reifen sieht, die in weiße Stoffhüllen verpackt sind, meint dieser zu ihm: „Wenn er Arme hätte, sähe er fast wie ein Mensch aus.“ Angeregt durch ein Werbeplakat, das einen dicken, Bier trinkenden Bayern mit dem Spruch „Nunc est bibendum“ zeigt, bestellt André ein Plakat, auf dem ein imposanter Reifenmann einen mit Glasscherben und Nägeln gefüllten Pokal hochhält – dazu die Worte „Nunc est bibendum! À votre santé! Le pneu Michelin boit l’obstacle!“ (Nun wird getrunken! Auf Ihr Wohl! Der Michelin-Reifen verschluckt die Hindernisse!) „Bibendum“ oder kurz „Bib“ wird der Reifenmann deshalb in Frankreich und anderen Ländern genannt. Bei uns ist er einfach nur das Michelin-Männchen. M.R. |
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