29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
02.04.11 / Eselsbank oder Fleißbildchen / Eine Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum macht das Kinderleben vor 100 Jahren anschaulich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-11 vom 02. April 2011

Eselsbank oder Fleißbildchen
Eine Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum macht das Kinderleben vor 100 Jahren anschaulich

Ein Kinderbuch aus alten Tagen trägt den Titel „Fröhliche, selige Kinderzeit“. Dass diese Zeit nicht immer unbeschwert war, macht eine Ausstellung im Lohrer Schulmuseum deutlich.

Eselsbank oder Fleißbildchen, Tadel oder Lob, die Schulkinder von damals hatten keine große Wahl – sie mussten parieren. Die Ausstellung in Lohr ist mit viel Akribie und Liebe zusammengetragen worden. Im ersten Teil werden großformatige Schulwandbilder gezeigt und Auszüge aus alten Fibeln präsentiert. So entsteht das Bild einer bunten Lebenswelt vor den Augen des Betrachters, „die weitgehend von dörflich-kleinbürgerlichen Bereichen einer heilen und in sich ruhenden Heimat geprägt wird“, erläutert der Leiter des Museums, Eduard Stenger.

Auffällig sind die vielen Moralsprüche in den Fibeln, welche die Kinder erziehen sollen und die noch heute vielen ein Begriff sind. Wer kennt nicht den Spruch „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“? Und aus dem Poesiealbum kennt man den Spruch: „Artig, fleißig, folgsam, rein müssen gute Kinder sein.“

Erstaunlich sind auch die vielen Gebete, die nicht im Religionsbuch, sondern im Lesebuch zu finden sind. „Obwohl seit Einführung der Unterrichtspflicht (in Bayern 1802) Schulen allgemein als ,Staatsanstalten‘ galten, behielten die Kirchen einen großen Einfluss auf das gesamte Erziehungswesen, zumal die Schulen bis 1918 der örtlichen Aufsicht des Pfarrers unterstellt waren“, betont Museumsleiter Stenger. „Kirchenbesuch und Sakramentenempfang der Schüler wurden als Teil der schulischen Erziehung vom Pfarrer überwacht und Verstöße bestraft.“

Entsprechend der damaligen Auffassung wurden die Kinder in der Schule auf ihre zukünftige Rolle vorbereitet – die Jungen für den Ernst des Lebens, eventuell als Soldat, die Mädchen als Hausfrau und Mutter. Für die einen gab es Turnunterricht mit militärischem Drill, für die anderen Handarbeit, Singspiele und Reigen.

Rigoros waren die Bestrafungen für nicht folgsame Schüler, mit denen sich der zweite Teil der Ausstellung befasst. Die Eselsbank, auf der die Kinder sitzen mussten und auf diese Weise ausgegrenzt wurden, ist da vergleichsweise noch harmlos. Immer wieder berichtete die „Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung“ von Züchtigungen und Misshandlungen, die gelegentlich gerichtlich gesühnt wurden. 1902 wurde ein Lehrer zu einem Monat Gefängnis verurteilt, weil er „in nachweislich sieben Fällen sich einer barbarischen Misshandlung von Schulkindern“ schuldig gemacht hatte. Er hatte die Schulkinder mit der Faust unters Kinn geschlagen und an den Ohren in die Höhe gezogen, so dass ein Junge eine Ohrmuschelverletzung erlitt. Auch ließ er die Kinder auf kantigen Hölzern knien, legte ihnen Holztafeln auf die Köpfe, auf die sich dann andere Kinder setzen mussten. Kein Wunder, dass sich einige Heranwachsende zur Wehr setzten. „Neben Schusswaffen verwendeten Schüler Messer, Steine und andere Gegenstände bei ihren Angriffen auf die Lehrer“, berichtet Stenger. „1906 schlug ein zwölfjähriger Schüler in Meiderich in der Schule den Hauptlehrer Lukas mit einer in einen Strumpf eingewickelten Bleikugel gegen den Kopf und verletzte ihn so schwer, dass der Lehrer wenig später an dieser Verletzung starb. Auch Gewalt von Schülern gegen Schüler kam nach Angaben der Lehrerzeitung immer wieder vor. 1899 zog ein Münchner Schüler auf dem Heimweg von der Schule einen Revolver und erschoss damit einen 13-jährigen Schüler. Im Sommer 1900 zündete ein zehn-jähriger Junge einem achtjährigen Mädchen die Kleider an. Das Kind starb an seinen Brandverletzungen.“

Doch nicht genug der Schreckensmeldungen: Immer wieder berichtete die „Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung“ auch über den Alkohol- und Nikotinkonsum der Kinder. Ein Kölner Lehrer stellte 1902 Nachforschungen über den Alkohol- und Nikotingenuss in seiner Klasse an: Von den 54 Schülern des ersten Schuljahres hatten am Sonntag vorher 20 Wein, 24 Bier, 19 Schnaps, 17 Wein und Bier, 14 Wein, Bier und Schnaps getrunken. Zehn gaben an, betrunken gewesen zu sein, neun so viel, dass sie zu Boden fielen; acht hatten Erbrechen infolge des Alkoholgenusses; 19 hatten geraucht, und zwar zwölf auf Veranlassung des Vaters, vier auf Veranlassung von Brüdern und fünf auf Veranlassung von Soldaten. Einer hatte sich selbst Zigaretten gekauft.

Raufereien unter Schülern nach dem Unterricht muten dahingegen harmlos an. Silke Osman

Die Sonderausstellung „Fröhliche, selige Kinderzeit? – Aus dem Kinderleben vor 100 Jahren“ im Schulmuseum, Lohr am Main, ist bis zum 15. Januar 2012 mittwochs bis sonntags und an allen gesetzlichen Feiertagen von 14 bis 16 Uhr geöffnet.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren