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02.04.11 / Sie nannten sich Preußen oder Türken / Gewalt und Jugendbanden sind kein Phänomen der Gegenwart – Jugendgangs in Manchester und Liverpool spielten Krieg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-11 vom 02. April 2011

Sie nannten sich Preußen oder Türken
Gewalt und Jugendbanden sind kein Phänomen der Gegenwart – Jugendgangs in Manchester und Liverpool spielten Krieg

Ältere Menschen klagen gern über die Jugend, die sich Dinge erlaubt, die man sich seinerzeit nie herauszunehmen gewagt hätte. Mehr noch: Ältere Menschen, so fand jetzt ein amerikanisch-deutsches Forscherteam heraus, möchten diese Einschätzung gern von den Medien, vor allem den Zeitungen und Zeitschriften, bestätigt bekommen.

„Unsere Erkenntnisse stützen die Annahme, dass Menschen die Medien nutzen, um ihre eigene soziale Identität zu stärken“, erklärt Silvia Knobloch-Westerwick von der Ohio State University. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Matthias Hastall von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen hat sie 276 jüngere und ältere Deutsche zu einem Experiment eingeladen. Den Versuchspersonen wurde gesagt, sie sollten die Nullnummer einer noch nicht auf dem Markt befindlichen Illustrierten vorab testen und am Computer lesen.

In Wirklichkeit war diese Zeitschrift mit ihren Artikeln eigens für das Experiment hergestellt worden. Genau genommen waren es sogar zwei Varianten: In der einen Illustrierten gab es Artikel, in denen junge Leute negativ dargestellt wurden, in der anderen standen die gleichen Geschichten, aber mit positiven Berichten über Jugendliche oder junge Erwachsene. Allerdings gab es in jeder Ausgabe sowohl positive wie negative Berichterstattungen über Alte und Junge. Alle Probanden sollten die Artikel lesen, die sie am meisten interessierten. Die Forscher sagten ihnen, dass sie nicht die Zeit hätten, alles durchzulesen. Ein Computerprogramm registrierte unterdessen – unbemerkt von den Versuchsteilnehmern – wer welchen Artikel anklickte.

Es zeigte sich, dass ältere Versuchsteilnehmer – das heißt, aus der Altersgruppe der 50- bis 65-Jährigen – eher negative Artikel über junge Leute auswählten. Bei Artikeln, die ihre eigene Altersgruppe thematisierten, hatten sie keine besondere Vorliebe für positive oder negative Berichterstattung.

Junge Leute – das heißt 18- bis 30-Jährige – zeigten ganz allgemein nur ein sehr mäßiges Interesse an Artikeln über ältere Menschen, ganz gleich, ob diese Artikel positiv oder negativ berichteten. Nachdem die Probanden die neue „Zeitschrift“ bewertet hatten, sollten sie einen Fragebogen ausfüllen, mit dessen Hilfe die Forscher ermitteln konnten, wie groß das Selbstvertrauen der Probanden war.

Hierbei stellte sich heraus, dass jene älteren Probanden, die vor allem die Artikel über die „schlimme Jugend von heute“ gelesen hatten, ein höheres Selbstvertrauen hatten als jene Probanden, die ohne besondere Präferenzen Artikel gelesen hatten. Die Forscher schließen daraus, dass viele Ältere vor allem deshalb Berichte über die missratene Jugend läsen, weil es ihr eigenes Selbstvertrauen noch hebe. Festzuhalten bleibt dabei aber die Tatsache, dass „die schlimme Jugend“, insbesondere Schlägerbanden Halbwüchsiger, kein Phänomen neuerer Zeit sind, wie viele ältere Menschen gerne glauben wollen – es gibt sie schon länger, als die heutigen Senioren überhaupt zurückdenken können.

Geht man weit in die Geschichte zurück, so klagten Ältere über „die Jugend von heute“ bereits in vorchristlicher Zeit: „Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe (Keilschrifttext aus Ur, Chaldäa, um 2000 vor Chr.).

Schlägerbanden „existierten mindestens seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts“, sagt Andrew Davies von der University of Liverpool. Wie der Forscher berichtet, lassen sich aus Polizeiberichten und Zeitungsartikeln in den Industrie-

städten Manchester und Liverpool zu damaliger Zeit rivalisierende Jugendgangs nachweisen. Ähnliche Jugendgangs soll es auch in Paris und St. Petersburg gegeben haben.

„Insgesamt waren die Manchester-Gangs motiviert durch die Lust an Kampf und durch den Status, den sie dadurch bekamen“, meint Davies, „in Liverpool hingegen, wo die Jugendarbeitslosigkeit sehr viel höher lag als in Manchester, bildeten sich eher Gangs heraus, die auf Raubzüge in den Straßen aus waren. Territoriale Kämpfe wie bei den Manchester-Gangs gab es hier offenbar seltener.“ Meist ging es bei den Kämpfen zwischen verfeindeten Jugendgangs, die auch mit Waffen ausgetragen wurden, um Gebietsansprüche.

Die wichtigsten Territorien waren dabei die „Music Halls“, die man sich als Vorläufer der heutigen Diskotheken vorstellen kann. Die Herrschaft über eine solche zu gewinnen, war eines der wichtigsten Ziele der Jugendgangs, die sich dabei als starker Verband verstanden und meistens auch einen identitätsstiftenden Namen hatten.

Manchmal orientierten sich die Jugendlichen aber auch an Ländern, die gerade miteinander Krieg führten – so ließen sich manche Jugendgangs in Manchester von dem damaligen russisch-türkischen Krieg inspirieren und nannten sich „Russen“ oder „Türken“ oder, als der Deutsch-Französische Krieg herrschte, „Preußen“ auf protestantischer Seite und „Franzosen“ auf katholischer.

Damals wie heute sind materielle und wirtschaftliche Probleme für Gewaltbereitschaft maßgebend: Damals erlebte die Mittel- und die Oberschicht in Großbritannien eine wirtschaftliche Blüte, denn das Empire befand sich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Allerdings stellten Mittel- und Oberschicht zusammen nur etwa ein Drittel der Gesellschaft dar. Zwei Drittel der Gesellschaft gehörten der Unterschicht an.

„Jugendgewalt ist ein soziales, ein Unterschichtenproblem“, betont Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN), „Jugendliche werden gewalttätig, wenn ihr Bildungsgrad niedrig ist und sie keine Perspektiven haben.“ Damals wie Heute.

Corinna Weinert


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