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09.04.11 / Zuerst starb sein Glaube / ... und dann der Großvater

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-11 vom 09. April 2011

Zuerst starb sein Glaube
... und dann der Großvater

Dieser Tage reist der Wahl-US-Bürger Gunter Nitsch durch Norddeutschland – 12. April: Lüneburg, 13. April: Elmshorn, 14. April Uelzen, Informationen unter (040) 398477-15 – und stellt sein Buch „Eine lange Flucht aus Ostpreußen“ vor. Schon vor einigen Jahren hat er seine Kindheitserinnerungen in den USA in englischer Sprache unter dem Titel „Weeds like us“ veröffentlicht, aber das Interesse aus Deutschland war so groß, dass er das Buch nun auch in die deutsche Sprache übertragen hat. Unterstützung erhielt er nicht nur von dem renommierten Hamburger Ellert & Richter Verlag, er konnte sogar mit Arno Surminski einen renommierten ostpreußischen Autoren für das Vorwort gewinnen. Die Mühe des 1937 geborenen Nitsch hat sich definitiv gelohnt, da nun auch die Präsentation seiner eindringlichen Kindheitserinnerungen deutlich gelungener ist, als es in der englischen Fassung der Fall war.

Nitschs Erinnerungen beginnen mit der Schilderung des Hofes seiner Großeltern nahe Schippenbeil, wo der achtjährige Günter, sein zweijähriger Bruder Hubert und die Mutter der beiden sich vor den Kriegsereignissen in Sicherheit begeben haben. Doch im Januar 1945 erreicht der Zweite Weltkrieg auch diese „Insel“ und die Familie zieht samt der Schwester der Mutter und deren fünf Kindern im Planwagen gen Pillau. Der Marsch wird zur mehrwöchigen Odyssee, da alliierte Tiefflieger, deutsche Truppenzüge und die eisige Kälte die Flüchtlingskolonne, in die sich die Familie einreiht, stets stoppen. Doch Günter ist voll guten Mutes, da sein über 70-jähriger Großvater die Familie begleitet. Diesem ruhigen, vom Glauben an Gott getragenen Bauern traut der Junge aus tiefstem Herzen. Und tatsächlich führt der alte Mann seine Familie sicher über das gefrorene Frische Haff gen Pillau, doch dort entscheidet man sich wegen der vielen Schiffsunglücke, in einem nahegelegenen Dorf Unterschlupf bei Bekannten zu suchen. Doch wenig später erreicht die Rote Armee das Örtchen, die Familie flüchtet in verschiedene Richtungen und fortan ist Günter mit seiner Mutter, dem Bruder und den Großeltern allein unterwegs. Zwar kann der Großvater Günters Mutter anfangs nicht vor der Vergewaltigung durch sowjetische Soldaten schützen, doch mit Holunderbeersaft weiß man den Angriffen zu begegnen. Und obwohl die Welt um Günter zusammenbricht, scheint er nie zu verzweifeln, da vor allem sein Großvater und seine Mutter trotz aller Gefahren es fast immer schaffen, dem Jungen den Eindruck zu vermitteln, dass alles gut wird. „Unkraut vergeht nicht“, so der Galgenhumor seiner Mutter.

Doch in Palmnicken verliert sein Großvater den Glauben an Gott: Er wird von den Sowjets dazu abgeordnet, von der SS ermordete und am Strand verscharrte Juden zu exhumieren. Fortan ist er ein gebrochener Mann. Selbst der Umstand, dass seine zweite Tochter samt Kindern wieder zur Familie stößt, kann ihn nicht trösten. „Warum hat Gott das zugelassen“, so der alte Mann immer wieder, der fortan selbst das wenige vorhandene Essen verweigert und wenig später stirbt.

In einem Dorf zwischen Tapiau und Labiau auf einer Kolchose wird den verbliebenen Familienmitgliedern eine Unterkunft samt Arbeit für die erwachsenen Frauen zugewiesen. Eindringlich schildert Nitsch, wie die Familie immer wieder versucht, Nahrungsmittel zu „organisieren“, und dabei der Willkür der sowjetischen Machthaber ausgesetzt ist. Erst 1948 geht es gen Westen, doch der Neuanfang ist schwer. Erstens gibt es keinen Ort, wo die Ostpreußen hin können, und zweitens hat der Vater zwar überlebt, weist aber seiner Frau und seinen Kindern die Tür. Zudem erkrankt der kleine Hubert schwer und muss ins Sanatorium. Trotzdem glaubt die Mutter weiter fest, dass ihre Familie eines Tages wieder unter einem Dach leben wird: 1950 erfüllt sich ihr Wunsch.   Rebecca Bellano

Gunter Nitsch: „Eine lange Flucht aus Ostpreußen“, Ellert & Richter, Hamburg 2011, gebunden, 379 Seiten, 19,95 Euro


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