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16.04.11 / Schöngeredetes Desaster / Seit Jahren bilden Deutsche auch afghanische Polizisten aus, doch die sind von Einsatzreife weit entfernt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-11 vom 16. April 2011

Schöngeredetes Desaster
Seit Jahren bilden Deutsche auch afghanische Polizisten aus, doch die sind von Einsatzreife weit entfernt

Der Lynchmord an elf UN-Mitarbeitern in Mazar-i-Sharif, dem Hauptstandort der Bundeswehreinheiten am Hindukusch, offenbart die ganze Problematik des Afghanistan-Einsatzes. Ins Zwielicht geraten dabei besonders die afghanische Polizei und Präsident Hamid Karzai persönlich. Aber auch die passive Rolle der Bundeswehr sorgt wohl für ein Nachspiel.

Inzwischen liegen Interviews aus Mazar-i-Sharif und Videoaufnahmen über den genauen Hergang der furchtbaren Tat vor, die vom „Wall Street Journal“ veröffentlicht wurden. „Steht auf gegen die Feinde des Koran; steht auf gegen sie mit eurem Stift, mit euren Stimmen, mit euren Waffen“, so donnerte es am Freitag, den 1. April, vom Podium der Blauen Moschee in Mazar-i-Sharif. Kurz darauf formte sich ein wütender Mob von 3000 Menschen in Richtung des US-Generalkonsulats, das aber als zu gut bewacht vorgefunden wurde. So wichen die Moslems in Richtung der UN-Vertretung aus. Dort hatte die afghanische Polizei für diese (angemeldete!) Demonstration nur 60 Männer zur Bewachung abgestellt, die sofort vor der wütenden Menschenmenge flohen. Zur Verteidigung der UN-Mission blieben so nur noch vier nepalesische Wachleute übrig, die mit ihren eigenen Waffen erschossen wurden. Drei Europäer, die sich in einen Sicherheitsraum geflüchtet hatten und sich nicht als Moslems bekennen konnten, wurden geköpft. Zurück blieben schließlich insgesamt elf Tote.

Den Anlass für den Ausbruch der Gewalttaten bildete die auch in der westlichen Welt scharf verurteilte Koran-Verbrennung des amerikanischen „Pastors“ Terry Jones vom 20. März. Die dramatischen Reaktionen in Afghanistan zeigen nun, wie fragil die Sicherheitslage am Hindukusch ist. Der kommandierende US-General David Petraeus sprach angesichts der anhaltenden Proteste von einem neuen Risiko für die Soldaten, die bereits „vielen Risiken“ ausgesetzt seien. Dies gilt offenbar auch besonders für die Bundeswehr-Einheiten im Norden des Landes.

Der Zustand der afghanischen Polizei, die im Sommer die Kontrolle in Mazar-i-Sharif übernehmen soll, lässt dabei die Besorgnis der westlichen Militärs und Politiker besonders steigen. Hieran trägt aber der Westen auch eine Mitschuld. Zu wenig Ausbilder, keine einheitlichen Ausbildungspläne und nur geringe Anforderungen an die Bewerber sorgen dafür, dass die Polizei überwiegend ein chaotischer Haufen ist. Viele von ihnen sind Analphabeten und gehen nur zur Polizei, weil sie keine besser bezahlte Arbeit finden. Vorwissen über ihre neue Aufgabe als Hüter des Gesetzes und die Bedeutung ihrer Arbeit kann man von den jungen Männern aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen in einem von Kriegen und Gewaltherrschern dominierten Land nicht erwarten. Doch in einer oft nur sechswöchigen Ausbildung können den Neu-Polizisten kaum das notwendige Hintergrundwissen und die damit verbundenen Werte vermittelt werden. Unterentwickelt ist zudem die Überzeugung, einem neuen demokratischen Afghanistan dienen zu wollen. Für eine zusätzliche Unsicherheit sorgt der Umstand, dass einige Männer öfter die Seiten wechseln, je nachdem, wer mehr Geld bietet: die Taliban oder die Polizei.

Aber auch der afghanische Präsident spielt im aktuellen Konflikt eine zunehmend anti-westliche Rolle: Obwohl US-Präsident Barack Obama die Tat von Jones verurteilt hatte, verlangt Karzai eine Entschuldigung des US-Kongresses. Die Tendenz des afghanischen Präsidenten, mit religiösen Stimmungen bei islamistischen Gruppen Punkte zu sammeln und sich nicht von Hardlinern abzugrenzen, verfolgen westliche Beobachter mit zunehmendem Unbehagen. Nun erinnert das ausgebrannte UN-Lager an Karzais Spiel mit dem islamistischen Feuer.

Vom neuen deutschen Verteidigungsminister Thomas de Maizière ist bisher keine direkte Stellungnahme zu erhalten. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Stefan Paris, weist eine mögliche deutsche Mitverantwortung zurück, weil die afghanischen Sicherheitskräfte Unterstützungsangebote der internationalen Truppen ausgeschlagen hätten. Die Isaf-Schutztruppe hätte zwar auch ohne Zustimmung der Afghanen eingesetzt werden können, was aber für die weitere Entwicklung des Landes „sicherlich nicht förderlich“ gewesen wäre, so Paris.

Die Zeitangaben über die Vorfälle differieren derzeit. Nach Darstellung des Verteidigungsministeriums gab es am Freitag um 16.15 Uhr schon die ersten Steinwürfe auf das Uno-Gebäude. Doch der stellvertretende Polizeichef der Provinz Balkh habe signalisiert, die Lage sei unter Kontrolle. Der Bundeswehr-Generalmajor Markus Kneip, der Leiter des Isaf-Regionalkommandos Nord, habe lange gebraucht, um den Provinzgouverneur vom Einsatz der Internationalen Schutztruppe überzeugen zu können. Die Isaf-Kräfte seien erst gegen 19 Uhr eingetroffen – rund zwei Stunden nach dem Sturm auf das Gebäude. Von der Isaf-Zentrale selbst hieß es dagegen, man sei „schon“ um 18.09 Uhr dort gewesen.

Ministeriumssprecher Paris räumte ein, dass aus dem Vorfall, den die Bundesregierung bedaure, Lehren für die Zukunft gezogen werden müssten. Dies bedeute aber nicht, dass die geplante schrittweise Übergabe der Sicherheitsverantwortung an afghanische Behörden in Frage gestellt werde.

Als Rädelsführer des Aufruhrs in Mazar-i-Sharif verdächtigte ein Abgeordneter des afghanischen Parlaments, Mohammed Akbari, einen ehemaligen Taliban-Kämpfer, der an einem Reintegrationsprogramm teilgenommen habe. Wie unzuverlässig solche Ex-Taliban sind, zeigte sich auch nahe Meymaneh, wo wenige Tage später afghanische Polizisten das Feuer auf zwei US-Soldaten eröffneten, die sofort tot waren. Die Täter konnten fliehen.            H. E. Bues/Bel


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