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23.04.11 / Länder entmachten / Große Unzufriedenheit bei Bürgern über die Schulpolitik – Föderale Vielfalt wird als Chaos empfunden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-11 vom 23. April 2011

Länder entmachten
Große Unzufriedenheit bei Bürgern über die Schulpolitik – Föderale Vielfalt wird als Chaos empfunden

Eine von TNS Infratest durchgeführte Umfrage belegt Unmut über Bildungsföderalismus. Mehrheit will zudem längeres gemeinsames Lernen bis einschließlich zur 6. Klasse.

Die Schulpolitik ist eines der letzten Refugien, in denen die deutschen Bundesländer noch schalten und walten können, wo ihre Befugnisse noch nicht von Bund, Kommunen und insbesondere der EU überlagert werden. Geht es nach einer jüngsten Umfrage, dann würde eine deutliche Mehrheit der Deutschen den 16 Ländern aber auch diese Kompetenz am liebsten wegnehmen.

480000 Menschen hat das Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest nach ihren Meinungen zur Bildungs- und Schulpolitik befragt. 130000 füllten den Fragebogen vollständig aus. Die Umfrage, das muss beachtet werden, ist nicht repräsentativ, das heißt: Es gab keine sonst übliche Auswahl der Befragten nach Einkommen, Bildungsgrad, sozialer Herkunft etc., sondern es nahm einfach teil, wer teilnehmen wollte. Dennoch verleiht allein die Masse der Teilnehmer der Befragung eine gewisse Aussagekraft.

Danach hat der „Bildungsföderalismus“ in den Augen der Deutschen ausgespielt. Nur acht Prozent fanden es gut, dass der Schulstoff in allen Bundesländern unterschiedlich ist, 92 Prozent lehnten die Unterschiedlichkeit der Schulstoffe „eher“ oder „voll und ganz“ ab. Im gleichen Verhältnis forderten die Befragten denn auch einheitliche Abschlussprüfungen in allen Bundesländern: 92 Prozent dafür, acht Prozent dagegen.

Sollten die Befragten für das ganze Volk sprechen, dann war das Hamburger Schulreferendum übrigens ein Ausreißer. Die Hanseaten hatten das Vorhaben aller Bürgerschaftsparteien von Linker bis CDU (die FDP war nicht vertreten), die Grundschulzeit bis zur 6. Klasse auszudehnen, mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Laut der Infratest-Befragung folgen bundesweit aber 32 Prozent der Hamburger Überzeugung. 45 von Hundert würden die Kinder lieber erst nach der 6. Klasse auf die verschiedenen Schulformen verteilen, 23 Prozent gar erst nach der 9. oder 10. Ausgedient hat nach Meinung der Befragten die reine Halbtagsschule, nur 19 Prozent unterstützen sie noch. 38 Prozent wollen sie durch ein „freiwilliges Nachmittagsprogramm“ zumindest ergänzen, 43 Prozent fordern eine verbindliche Ganztagsschule.

Auf die Frage, ab welchem Alter denn der Kindergartenbesuch „verbindlich“ sein sollte, antwortete eine relative Mehrheit von 41 Prozent mit „drei Jahre“. Nur 13 Prozent wollten gar nichts von einem verbindlichen Kindergartenbesuch wissen, die übrigen nannten andere Altersgrenzen von eins bis fünf.

In jedem Falle wünschte sich eine Mehrheit der Befragten tiefgreifende Veränderungen im deutschen Bildungswesen, vor allem bei Schulen und Kleinkindbetreuung. Bei der Frage, wer denn zu solchen Veränderungen am ehesten bereit sei, schneiden die Politiker miserabel ab. 80 Prozent halten die Bereitschaft der Politik zu Veränderungen für „gering“ oder „sehr gering“. Unternehmen schneiden schon besser ab, den Lehrern trauten die Teilnehmer immerhin 57 Prozent Veränderungsbereitschaft zu. Am zweit-höchsten ist das Zutrauen in die Veränderungsbereitschaft bei Eltern (78 Prozent). Den höchsten Reformeifer attestierten die Befragten sich selbst: 94 Prozent hielten sich für veränderungswillig.

Dabei gab eine deutliche Mehrheit zu erkennen, für ein besseres Bildungswesen auch selbst Opfer bringen zu wollen. 73 Prozent gaben an, Steuererhöhungen für diese Zwecke akzeptieren zu wollen. Nur 55 Prozent wollten dies auch für ein besseres Gesundheitswesen auf sich nehmen und 36 Prozent für eine effektivere Verbrechensbekämpfung.

Mehr als die Hälfte der Teilnehmer ist darüber hinaus dafür, dass Schulen in sozialen Brennpunkten finanziell besser ausgestattet werden sollten als der Durchschnitt.

Allerdings sollte hier wie anderswo genau unterschieden werden zwischen dem, was man theoretisch befürwortet und dem, was man immer noch begrüßt, wenn es wirklich eintritt. Hier klafft bisweilen eine gewaltige Lücke.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) dürfte die negative Meinung über die Politik, die in der Befragung zum Ausdruck kam, in ihrer ersten Reaktion auf die Infratest-Untersuchung noch verstärkt haben. Schavan kündigte eine „Exzellenz-Initiative für Lehrerbildung“ an, weil die Qualität der Lehrkräfte entscheidend sei für den Erfolg aller Bildungsanstrengungen. Folgt man indes den Forderungen der Befragungsteilnehmer, dann sind es gerade die Lehrkräfte, welche ihre Arbeit noch recht gut machen und das unter schwierigen Bedingungen. Die Mehrheit der Befragten dürfte sich eher eine „Exzellenz-Initiative für Politiker“ wünschen, denen sie weit weniger Kompetenz zutraut.

So erscheint Schavans

„Initiative“ im faden Licht hektischer „Symbolpolitik“, in welcher großspurige Parolen ausgegeben und „Zeichen gesetzt“ werden, statt die Probleme mühsam an der Wurzel anzugehen. 

Auftraggeber der Studie waren die Unternehmensberatung Roland Berger, die Bertelsmann-Stiftung (Mehrheitseignerin des Bertelsmann-Medienkonzerns) sowie die „Bild“-Zeitung und die türkische Tageszeitung „Hürriyet“. Um auch Einwanderer zu erreichen, wurden Fragenbögen auf Deutsch, Türkisch und Russisch angeboten. Hans Heckel


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