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23.04.11 / Ablenkung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-11 vom 23. April 2011

Ablenkung von der Krise
Weißrussland steht vor dem Staatsbankrott − Wem nützt der Terroranschlag von Minsk?

Seit Anfang dieses Jahres durchlebt Weißrussland die schlimmste Wirtschaftskrise seit den 1990er Jahren. Geldentwertung, Inflation, Panikkäufe im Land: Präsident Alexander Lukaschenko kämpft ums ökonomische Überleben. Der Anschlag von Minsk kommt ihm gelegen, um mit aller Härte gegen Widersacher vorzugehen.

Weißrussland, ein Paradies, ein sauberes und schönes Land, in dem die Menschen ein unbeschwertes, sonniges Leben führen. So mag Lukaschenko sein sozialistisches Land sehen, doch spätestens seit dem Anschlag auf die U-Bahnstation „Oktjabrskaja“ in der Nähe des Regierungssitzes ist klar, dass etwas nicht stimmt. Woher kam der völlig unerwartete Terrorakt in einem Land, das, anders als Russland, keine Krisengebiete, keinen Bürgerkrieg und keine radikalen Untergrundkräfte hat? Was steckt dahinter? Die Opposition im Land dürfte kaum Gelegenheit zum Anschlag gehabt haben, denn sie wird rundum von Sicherheitskräften überwacht, viele sind ins Ausland geflohen. Mit der Behauptung, der Terrorakt sei ein „Geschenk des Auslands“ hat Lukaschenko wahrscheinlich sie gemeint, sie seien daran interessiert, das Land zu destabilisieren. Die Oppositionskräfte im Land sind um politischen Dialog und Demokratie bemüht. Wem also nützt der Terroranschlag wirklich? „Der Anschlag nützt denen, die einen Ausnahmezustand im Land und ein Abrücken Weißrusslands vom Westen wollen und zudem die Opposition verleumden“, meint der ehemalige Präsidentschaftskandidat Alexander Milinkewitsch. Mit anderen Worten: Gab Lukaschenko den Anschlag selbst in Auftrag, um von innenpolitischen Problemen abzulenken?

Dass die gefassten und geständigen Täter, die auch einen sechs Jahre zurückliegenden Anschlag gestanden haben, nicht die wirklichen Täter sind, davon ist auszugehen. Viel zu schnell hat der KGB den Fall aufgeklärt. Lukaschenko hätte Gründe genug dafür, einen Terrorakt als Ablenkungsmanöver zu inszenieren, denn viele im Land sehen seinen Stern bereits sinken. Dank russischer Subventionen konnte der weißrussische Diktator sein staatlich finanziertes „Wirtschaftswunder“ jahrelang aufrecht erhalten. Das allerdings nur so lange, wie der „große Bruder“ aus Moskau das Spiel toleriert hat. Damit ist seit Mitte vergangenen Jahres Schluss. Der Kreml hat den 1995 mit Weißrussland geschlossenen Freundschaftsvertrag, bei dem die Erhebung von Zöllen für gegenseitige Verträge ausgeschlossen war, nicht mehr zu diesen Bedingungen erneuert. Vor allem für Öl und Gas muss Weißrussland seitdem deutlich höhere Preise zahlen. Der Weiterverkauf des billig eingekauften Rohstoffs in den Westen zu Marktpreisen ist unterbunden. Wegen des daraus resultierenden Haushaltsdefizits geriet Lukaschenko in Wut und beging folgenschwere politische Fehler. Statt sich mit Moskau zu einigen, ließ er sich auf einen Streit mit seinem wichtigsten Partner ein. Er paktierte mit politischen Gegnern Russlands und verhinderte die Zollunion zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan. Er suchte neue Verbündete im Westen, verhandelte mit der EU und den USA über Kredite, schloss mit Venezuela einen Ölliefervertrag und stellte Georgien und China Gemeinschaftsprojekte in Aussicht. Alle Versuche, sich aus der Abhängigkeit von Russland zu befreien, schlugen wie ein Bumerang zurück. Statt Weißrussland Freiheit zu bringen, führte Lukaschenko es in die politische Isolation.

Wahlfälschungen bei der Präsidentschaftswahl Ende 2010 und sein rigides Vorgehen gegen die politische Opposition veranlassten EU und USA dazu, ein deutliches Zeichen zu setzen, dass sie mit dem letzten Diktator Europas nichts zu tun haben wollten. Sie verhängten Einreiseverbote gegen ihn und 150 seiner engsten Mitarbeiter. Die Auslandskonten des Regimes wurden eingefroren.

Die Isolation zeigt Folgen: Mehr Import und weniger Export erhöhen das Zahlungsbilanzdefizit. Die Auslandsverschuldung steigt. Zwar wird in diesem Jahr ein Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) von sieben Prozent prognostiziert, aber das BIP pro Kopf liegt seit Jahren bei niedrigen 3348 Euro pro Jahr. Das Vertrauen der Bürger in die eigene Währung schwindet. Aus Panik vor einer Geldentwertung kauft die Bevölkerung seit Jahresbeginn Dollar und Euro. Obwohl der Staat den Rubel-Kurs künstlich hochzuhalten versucht, den Devisenverkauf beschränkt, musste er doch eine erste Abwertung seiner Währung durchführen. Hamsterkäufe waren die Folge. Einige Importfirmen können kaum noch zahlen, manche Produkte sind bereits aus den Regalen der Supermärkte verschwunden. Der Schwarzhandel treibt Blüten.

Nachdem der Internationale Währungsfonds (IWF), der Weißrussland während der Weltfinanzkrise 2009 mit einem Kredit von 2,46 Milliarden US-Dollar half, neue Kredite von einer weiteren Rubelabwertung und Beamtenlohnkürzungen abhängig macht, kann Hilfe für die marode Wirtschaft nur noch von Russland kommen.

Moskau zögert noch und drängt auf Privatisierung. Russische Firmen profitieren von der weißrussischen Krise. Privatisierung bedeutet, dass russische Investoren weißrussische Staatsbetriebe aufkaufen. Dies konnte Lukaschenko bislang erfolgreich verhindern. Vorerst signalisierte er, dass er sich der Zollunion nicht länger verweigern wird. Um seinen Machterhalt zu sichern, kündigte er „Säuberungen“ nach stalinistischer Manier an. Manuela Rosenthal-Kappi


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