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23.04.11 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-11 vom 23. April 2011

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,           
liebe Familienfreunde,

„Schmackoster, schmackoster, drei Eier, Stück Speck, sonst geh´ ich nicht weg!“ Noch heute erinnert sich Ursula Lübge aus Schollene an das Osterfest im heimatlichen Oberland, in dem dieser Brauch gepflegt wurde, wie überall in Ostpreußen. Aber es war ja nicht nur der Spruch, der von den Bowkes und Marjellens aufgesagt wurde, sondern ein sehr handfester Brauch: Am zweiten Feiertag schlichen in aller Herrgottsfrühe die Kinder an die Betten der noch schlummernden Erwachsenen, hoben die Decken hoch und – klatsch wurden die Schlafenden mit Rutenschlägen zum jähen Erwachen gebracht. Wenn der Spruch aufgesagt war, kauften sich dann die so Gepiesackten frei, wobei der Nachwuchs ja weniger Wert auf das Stück Speck legte, sondern mehr auf Eier und „noch e Stöck Floade“, auf den zum Fest gebackenen Blechkuchen, wie der Spruch in anderen Gegenden ergänzt wurde. Gewöhnlich wurden zum Schlagen junge Birkenzweige benutzt, sie sollten die wintermüden Lebensgeister wieder erwecken, und das taten sie dann auch. Bei Frau Lübge bestanden aber die Osterruten aus Zweigen vom Wacholder, und der wurde ja bei uns Kaddig genannt. Warum sie sich so genau an diesen Brauch aus ihrer Kindheit erinnert, liegt an meiner Geschichte von den „Veilchen vom Litauer Wall“, in der ich schildere, wie ich als kleine Marjell in meinen heimlich getragenen kunstseidenen Strümpfen in rostigen Stacheldraht fiel. Denn ihr erging es ähnlich – aber lassen wir Ursula Lübge, geb. Porsch erzählen.

„Es war wohl im November 1941, als ich vom Schlittschuhlaufen kam. Das geliebte Klunkermus wollte nicht runter, ich konnte nicht schlucken. Dann ging gar nichts mehr. Fieber, Schüttelfrost, Hals zu: Diphterie. Bis zum Krankenhaus waren es 26 Kilometer − und das im Schlitten? Ich blieb daheim, wohnte bei den Großeltern im Altenteil. Wegen dieser „Quarantäne“ bekamen wir keine Einquartierung. Als dann nach dem Abklingen der Krankheit eine Desinfizierung im Haus erfolgen sollte, bat Vater um einen Maler aus der Gruppe. Der Soldat, der zu uns kam, war ein Thüringer aus Oberhof. Er wollte so gerne seine Frau für ein paar Tage bei sich haben, die Bitte wurde ihm erfüllt. Seine Frau wollte sich dankbar erzeigen und gerne etwas für uns nähen. So wurde aus Mutters großem, weißem, wolligem Umschlagtuch eine Jacke für mich, ein Gedicht mit gehäkelten Noppen und bestickt wie ein Dirndl. Dann kam Ostern und ich bettelte, mit meiner neuen Jacke an diesem so frühlingshaften Karfreitag an die Passarge zum „Kaddigsuchen“ zu gehen. Mit Vaters Fürsprache schaffte ich es dann auch. Im Laucker Wald, wo die Passarge einen Bogen macht, hatte, die bei uns stationierten Soldaten eine Fußgängerbrücke gebaut. Am anderen Ufer, schon im Ermland, befand sich eine große Befestigungsanlage. Wir liefen auf unserer „Kaddigsuche“ über die Brücke und befanden uns auf einer schon grünen saftigen Wiese. Die rote Sonne begab sich auf den Heimweg – wir auch. Da stürmte plötzlich eine Horde Jungs auf uns zu, voller Tatendrang und mit Indianergebrüll. Jetzt hieß es auf schnellstem Wege Land gewinnen, also den Wiesenhang so schnell wie möglich hinunter zum Fluss. Der Körper schoss vorwärts, die Füße stolperten und eine unsichtbare Kraft katapultierte mich mit der schönen weißen Jacke den Hang hinunter. Den langen Weg nach Hause beschäftigte mich nur die Frage: Wie kommst du ungesehen ins Haus? Wie es dann wirklich alles lief, weiß ich nicht mehr. Hauptsache war wohl, dass der Kopf noch dran war! Und das bleibt in der Erinnerung: Die saftig grüne Wiese, die rote Abendsonne und ein Karfreitag mit „Kaddigsuche“!“

Und wurde jetzt wieder geweckt wie so vieles in der letzten Zeit, wenn unsere Leserinnen und Leser in die Vergangenheit zurückgeführt wurden. Ich dachte, das Thema „Kaninchenfutter“, von Frau Dorothea Blankenagel in unsere Familie eingebracht, sei nun erfolgreich abgeschlossen, jedenfalls was „Komfrei“ betraf. Da traf aus dem fernen Brasilien eine E-Mail ein: „Auf die Frage nach dem Kaninchenfutter möchten wir Ihnen sagen, dass unsere deutsch-brasilianischen Nachbarn, die bei uns in Deutschland als „Beinwell“ bekannte Pflanze meinen. Wir freuen uns, dass wir weiterhelfen können. Freundliche Grüße Familie Suttor“. Und wir sagen Dank und senden herzliche Ostergrüße nach Brasilien.

Aber es kommt noch besser: Jetzt ist auch das zweite rätselhafte Wort geklärt, mit dem niemand von unseren Lesern etwas anfangen konnte: Seeblätter. Und zwar führt die Lösung zur Urquelle. Sie kam mit einer E-Mail von Frau Hanna Lenczewski: „Mit Interesse verfolge ich die Diskussion über Komfrei und Seeblätter in der Ostpreußischen Familie. Sie ist wohl durch meinen Beitrag im Samlandbrief ausgelöst worden. Komfrei und Seeblätter wurden an Schweine verfüttert, nicht an Truscher. Die bekamen anderes Grünzeug. Komfrei ist ja nun geklärt, und Seeblätter sind meiner Meinung nach ausgewachsene Huflattichblätter. Sie wuchsen in Palmnicken überall auf dem Seeberg und am Fließ zum Baggerfeld hin. Bei meinen Besuchen in der Heimat habe ich danach gesucht und sie gefunden, weil es mich interessierte. Es können eigentlich nur Huflattichblätter sein. Sie wurden klein geschnitten (gebrüht?) mit dem Schweinefutter vermischt und verfüttert. Ich fahre im Juli wieder ins Samland, wohne in Palmnicken und werde mich danach umsehen.“ Vielen Dank, liebe Frau Lenszewski, für diese Klarstellung. Ich hatte ja auch vermutet, dass diese Bezeichnung aus einem örtlich begrenzten Sprachbereich stammen müsste. Wahrscheinlich hießen die Seeblätter an der westlichen Samlandküste so, weil sie auf dem Seeberg wuchsen. Die „Lottchenblätter“ haben wir als Kinder gerne auf die Hand gelegt, sie kühlten so schön. Und deshalb wurden die Lattichblätter auch auf Wunden gelegt. Warm und weich waren dagegen die „Truschchen“. Gibt es ein Wort, das zärtlicher sein kann, als dieses für die Kaninchen? Des lieben Gottes Tierreich hatte in Ostpreußen eben sein eigenes Vokabular.

Und weckt Erinnerungen stärker als je zuvor. Wie so vieles in unserer Ostpreußischen Familie, für die Frau Sigrid Schelja aus Seligenstedt – die in unserer Kolumne das längst vergessene geglaubte Spiel aus ihrer Kindheit „Gottes Segen bei Cohn“ wieder fand und es nun mit ihren Enkeln spielen will − eine wunderbare Formulierung gefunden hat: „Sie bildet den Humus für die fortbestehende Bindung von uns Ostpreußen an die Heimat, die jetzt im Alter ein ganz wichtiger Anker unserer Existenz in dieser wackligen Welt ist.“

Erinnerungen haben besonders unsere letzten Folgen, in denen viele Kindheitserlebnisse geschildert wurden, auch bei unserem  Landsmann Heinz Schlagenhauf aus Lensahn geweckt. „Ich musste als Kind – es war noch in der Weimarer Zeit − oft zum Kaufmann Krön in Groß Skirlack gehen. Dort habe ich die Reklameschilder betrachtet. Im Laden hing ein Schild mit einem Spruch in Platt mit der freundlichen Aufforderung: Suup di voll on frät di dick on hoal de Schnut von Politik! Diesen Rat hab ich damals nicht verstanden. Wenn ich heute manche politischen TV-Sendungen sehe, dann spreche ich doch diesen Satz!“  Jetzt hat er ihn verstanden! Ob man aber heute die wohlgemeinten Ratschläge, die „Suupe on Fräte“ betreffen, befolgen sollte, sei dahin gestellt. Danach hatte man sich im alten Ostpreußen, dem Land mit den langen Wintern und dem späten Frühjahr, gerichtet. Aber zu Ostern waren wir jieprig nach allem Grünen, und so gab es am Karfreitag den ersten Salat oder Sauerampfersuppe mit Ei. Am Tag zuvor hatten wir uns über die Gründonnerstagkringel gefreut. Zu Ostern kam dann Pierak auf den Frühstückstisch – ein Feinbrot aus Weizenmehl, aber auch der Streuselkuchen wurde mancherorts so genannt.

Brot – da hat es für mich eine Überraschung gegeben. Herr Heinrich Lohmann hat sie mir mit dieser Mail bereitet: „Es ist schon fast neun Jahre her, dass Sie in der Ostpreußischen Familie auf meiner Suche nach Zeitzeugen zum Brotbacken auf dem Gut Lehndorff des Manfred Graf von Lehndorff hinwiesen. Dank dieses Aufrufes bekam ich Kontakt zu Frau Freese, der früheren Ortsvertreterin von Wargen. Durch sie wiederum konnte ich einen Kontakt herstellen zur Tochter des früheren Verwalters der Güter des Grafen Lehndorff. Diese Tochter, Christel Füßel, erlaubte mir die Anfertigung von Kopien, die ihr Vater von Manfred Graf von Lehndorff erhalten hatte. Inzwischen hat sich viel Licht eingestellt und dunkle Ecken des Nichtwissens ausgeleuchtet. Ich bin Ihnen daher für die Veröffentlichung sehr dankbar.“

Ich Ihnen auch, lieber Herr Lohmann, für die von Ihnen geschriebene Geschichte über dieses ostpreußische Brot, dessen Rezept heute noch ein Geheimnis ist. Margaretha Baronesse von der Ropp hatte es aus ihrer baltischen Heimat mitgebracht, als sie 1919 aus ihrer baltischen Heimat nach Ostpressen flüchtete. Sie fand auf dem Gut Lehndorff im Samland Zuflucht und eine berufliche Aufgabe, als Inspektorin des 313-ha Betriebes. In den Hungerjahren kamen aus dem nahen Königsberg viele Menschen auf der Suche nach Lebensmitteln. Margaretha von der Ropp begann mit dem Brotbacken nach einem Rezept aus ihrer Heimat, bei dem man statt Mehl Roggenflocken verwendete, die durch Quetschen des Korns erzeugt wurden. Hinzu kam ein besonderes Backverfahren durch Brühen des Brotes und bestimmte Ruhezeiten. Dieses spezielle Verfahren wurde patentiert und bewirkte eine steigende Produktion. Täglich wurden über 80 Geschäfte in Königsberg beliefert, die Lehndorfschen Güter stellten sich vorrangig auf Roggenanbau um. Das „Lehndorffbrot“, das auch an zahlreiche Empfänger in ganz Deutschland versandt wurde, fand nach der Präsentation auf der Weltausstellung in Paris sogar im Weißbrotland Frankreich große Anerkennung. Die durch wissenschaftliche Versuche belegte gesundheitsfördernde Wirkung dieses Brotes versprach ihm eine großartige Zukunft, die durch Krieg und Vertreibung zerstört wurde. Bis sie nach der Flucht in Westdeutschland wieder zu keimen begann: Die 70-jährige Baronesse gründete nach mühevoller Vorarbeit in Bremen die „Lehndorff Brot GmbH“ und begann nach ihrem Rezept wieder das Vollkornbrot zu backen, das sich nach anfänglichen Schwierigkeiten, die vor allem durch die aufwendige Flockenherstellung entstanden, in den 70er Jahren zum meistverkauften Brot in Bremen entwickelte. Es wird dort noch heute in der Bäckerei Tender nach dem – immer noch geheimen – Originalrezept der Margaretha von der Ropp hergestellt. Aber diese Nachkriegsentwicklung ist mit ihren Höhen und Tiefen wieder eine eigene und sehr ergiebige Geschichte.

Ein friedliches, fröhliches und sonniges Osterfest wünscht Euch allen

Eure Ruth Geede


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