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23.04.11 / Das Wunder

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-11 vom 23. April 2011

Das Wunder von Neuhausen
Der Osterhase brachte außer Eiern eine echte Überraschung

Es war beschlossene Sache, dass wir am Ostersonntag nach Neuhausen fuhren. Wo lag für uns Kinder aus der Königsberger Augustastraße ein Osterparadies so nahe, da es doch nur ein paar Schritte bis zum Kleinbahnhof waren? Dort am Königstor blühte der Faulbaum, und in Neuhausen erwarteten uns Teppiche von weißen Anemonen, Waldränder mit Hasenklee und Waldmeister unter den noch kahlen Buchen.

Auch sollte Onkel Julius zu Besuch kommen. Eigentlich war er gar kein richtiger Onkel, weder verwandt noch verschwägert aber nicht minder geliebt von uns Kindern. Ein vierschrötiger Bär mit einer watteweichen Seele, mit lustigen Augen. Er war nicht verheiratet, und so galt Onkel Julius’ Kinderliebe uns allein, vor allem mir, dem Nesthäkchen, und die bewies er mit süßen Köstlichkeiten, die er aus seinen Manteltaschen hervorzauberte. Deshalb waren wir sehr enttäuscht, als Onkel Julius sich am Ostermorgen einstellte – mit leeren Manteltaschen. Immerhin tröstete die Vorfreude auf die Fahrt nach Neuhausen Tiergarten doch sehr. Und als wir nach dem Mittagessen loszogen, hopste ich quietschfidel an Onkel Julius’ rechter Hand die Königstraße hinunter zum Kleinbahnhof. Dort warteten bereits Onkel Hans und Tante Friedel, entfernte, aber echte Verwandte. Sie hatten auch Osterbesuch, eine etwas ältliche Nichte von Tante Friedel, Beate mit Namen. Ebenfalls ein sanftes Wesen, klein und etwas druggelig. Als Onkel Julius mit seiner Pratze ihre weiche Hand fast zerquetschte, schlug sie verlegen die blond bewimperten Lider zu Boden.

Der Tag strahlte in wahrer Osterlaune. Wir bekamen auch noch im Gasthaus von Eichenkrug Platz, und ich durfte nach Himbeerbrause und Blechkuchen mit meinem Springseil herum hopsen. „Guck mal, da hinter den Eichen kannst schön spielen“, sagte Onkel Julius. „Willst du nicht einmal nachsehen ob der Osterhase vielleicht hier ein Ei versteckt hat?“ dröhnte auf einmal Onkel Julius’ Bass hinter mir. Ich lachte leicht verlegen, es gab doch gar keinen Osterhasen. Sollte ich sicherheitshalber so tun, als ob...?

Onkel Julius tat sehr geheimnisvoll und stocherte in einem Haselbusch herum. Und da geschah es: Aus dem alten Laub sprang ein Hase, ein echter Hase mit Löffelohren und weißem Schwänzchen. Er schlug einen Haken, raste am Grabenrand entlang und jagte dann über einen Acker davon. „Der Osterhase!“ schrie Onkel Julius. „Wenn der man nicht ein Ei...“ Weiter kam er nicht. Er hatte in seiner Aufregung über den nicht geplanten Auftritt eines echten Feldhasen die Wurzel nicht bemerkt, die sich heimtückisch unter dem Laub verbarg. Onkel Julius kippte vornüber und klatschte mit seinem Schmerbauch auf das schleifengeschmückte Schokoladenei, das da in einem Nestchen aus Holzwolle lag.

Was wusste ich, dass Onkel Julius Nest und Ei dort heimlich deponiert hatte. Hase und Osterei – in diesem Augenblick glaubte ich wieder steif und fest an den Osterhasen. Diese freudige Erkenntnis wurde leider durch die Tatsache getrübt, dass das Riesenei als plattgedrückte Schokoladenflunder unter Onkels Bauch lag. Stöhnend erhob sich Onkel Julius und begann die Reste des schönsten und größten Ostereis, das ich je gesehen hatte, von seinem guten Anzug abzukratzen. Inzwischen hatte sich der Familienrest dazugesellt. Die Stimmung schwankte zwischen Mitgefühl und Heiterkeit. Ersteres zeigte sich besonders in den blassblauen Augen von Beachen. „Ziehen Sie mal das Jackett aus“, sagte sie, „so können Sie sich ja nicht blicken lassen, nu an Ostern. Ich werd’ das in der Küche saubermachen.“

Onkel Julius gehorchte und entledigte sich des klebrigen Jacketts. Dann hüllte er sich in seinen Mantel und tiefes Schweigen. Das Interesse an Onkel Julius’ Missgeschick flaute ab. Jetzt endlich konnte ich mein Osterhasenerlebnis an die Familie bringen. Und während meines ausführlichen Berichtes wurde mir plötzlich bewusst, was ich verloren hatte. „So ein schönes Osterei“, begann ich zu heulen, „so was habt ihr noch gar nicht gesehen! Und’n ganz, ganz echtes vom richtigen Osterhasen!“ Onkel Julius fand die Sprache wieder. „Heul man nich, Matzchen“, sagte er tröstend, „kriegst ein neues von mir, wenn es auch vielleicht nicht so schön is wie das vom Osterhasen. Aber vielleicht noch größer. Willst eines mit Schmadder oder mit vielen kleinen Eierchen?“ – „Mit Eierchen“, sagte ich und war nun wieder ganz getröstet.

Die Familie wurde langsam unruhig, die Zeit verging, und Beachen kam nicht wieder aus der Krugküche, in der sie verschwunden war. „Ich will euch nicht abhalten, geht man spazieren, wir kommen dann nach!“ sagte Onkel Julius. Nach einigem Hin und Her zogen wir dann alle in Richtung Neuhausen-Dorf ab. „Um sechs Uhr am Zug!“ rief mein Vater dem einsamen, tief in seinen Mantel gehüllten Gast noch zu. Wer um sechs nicht am Bahnhof war, das waren Onkel Julius und das Beachen. Er kam erst kurz vor Mitternacht nach Hause und entschuldigte sich sehr laut und lange. Der Zug sei ihnen vor der Nase weggefahren, der nächste ging erst um neun, und dann hätte er das nette Fräulein Bea anstandshalber nach Hause bringen müssen, und sie wohnte doch auf den Hufen...

Und vier Wochen später erhielten wir eine Verlobungsanzeige. Ja, in Neuhausen geschahen eben noch Wunder! Nicht nur, was echte Osterhasen betraf!            Ruth Geede


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