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30.04.11 / Von Nigeria nach London / Facettenreich dargestelltes Schicksal eines afrikanischen Flüchtlingsmädchens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-11 vom 30. April 2011

Von Nigeria nach London
Facettenreich dargestelltes Schicksal eines afrikanischen Flüchtlingsmädchens

Wenn auf einem Buchcover der Hinweis „Weltbestseller“ steht, ist die Erwartungshaltung des Käufers an das Buch sehr hoch. Die Rede ist in diesem Fall von Chris Cleaves zweitem Roman „Little Bee“. Nach seinem Erstling „Lieber Osama“ handelt es sich auch bei „Little Bee“ um ein relativ trauriges Buch. Eine ernste Handlung gepaart mit sympathischen Protagonisten und originellen Details.

Little Bee ist ein junges Mädchen, welches vor den „bösen Männern“, die ihr Dorf zerstörten und ihre Schwester grausam töteten, aus Nigeria nach London flieht. Wie so viele Flüchtlinge muss auch sie sich zunächst in Abschiebehaft begeben. Zwar ist sie dort vor „den bösen Männern“ in Sicherheit, doch es vergehen zwei Jahre ohne einen Hoffnungsschimmer von Freiheit am Horizont.

„Ich hingegen wurde eine Frau unter weißen Neonröhren, in einem unterirdischen Raum in einem Abschiebegefängnis 60 Kilometer östlich von London. Dort gab es keine Jahreszeiten. Es war kalt, kalt, kalt und ich hatte niemanden, den ich anlächeln konnte. Diese kalten Jahre sind in mir eingefroren. Das afrikanische Mädchen, das sie ins Abschiebegefängnis sperrten, das arme Kind, ist nie wirklich entkommen. In meiner Seele ist es noch immer dort eingeschlossen, auf ewig, unter dem Neonlicht, zusammengerollt auf dem grünen Linoleum, die Knie ans Kinn gezogen.“

Ein glücklicher Zufall verschafft Little Bee die Möglichkeit zur Flucht. Und so steht sie eines Tages ohne Papiere und nichts besitzend, als dem, was sie am Leibe trägt, und einem Führerschein, der nicht ihr gehört, vor dem Abschiebegefängnis. Da es keinen Ort gibt, wohin sie sich wenden könnte, tut sie das nächstliegende: Sie macht sie auf den Weg zu der Adresse, die auf dem Führerschein vermerkt ist.

Chris Cleave lässt den Leser hier zunächst, taktisch clever, im Dunkeln tappen. Kennt das Mädchen den Inhaber des Führerscheins, und wenn ja woher, und wieso hatte sie den Führerschein bereits, als sie nach England floh?

Der Autor spult die Handlung an dieser Stelle um einiges vor, und so findet sich der Leser mitten auf einer Beerdigung wieder. Es ist die Beerdigung des Führerscheinbesitzers und Little Bee befindet sich an der Seite der Witwe.

„Little Bee“ ist ein Roman mit emotionalem Tiefgang. Durch den ernsthaften Hintergrund der Geschehnisse bewahrt Cleave die Handlung davor, ins Kitschige abzudriften. Den Charakter des nigerianischen Mädchens arbeitet der Autor sehr facettenreich heraus. Und ohne ihren unerschütterlichen Realismus wäre Little Bee nur halb so smart.             Vanessa Ney

Chris Cleave: „Little Bee“, dtv, München 2011, kartoniert, 320 Seiten, 14,90 Euro


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