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07.05.11 / Irgendeiner zahlt schon / Unsolides Wirtschaften ist in der Politik Gang und Gäbe – Verschiedene Transfersysteme machen es möglich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-11 vom 07. Mai 2011

Irgendeiner zahlt schon
Unsolides Wirtschaften ist in der Politik Gang und Gäbe – Verschiedene Transfersysteme machen es möglich

Langfristig geplante Projekte spontan zurückzunehmen liegt offenbar derzeit im Trend. Nicht nur die Unternehmen leiden darunter, ihnen bleibt immerhin noch der Klageweg, die Zeche am Ende zahlt immer öfter der Steuerzahler der Zukunft.

Bisher war Deutschland im internationalen Vergleich ein solider Wirtschaftsstandort, der Unternehmen langfristiges Planen möglich machte. Doch zahlreiche politische Entscheidungen der letzten Monate dürften in so mancher Konzernzentrale, aber auch in so manchem Handwerksbetrieb und Bauunternehmen entnervte Reaktionen ausgelöst und sogar vorliegende Pläne über den Haufen geworfen haben. Immerhin hat der Protest zahlreicher Kommunen und lokaler Gewerbebetriebe in Rheinland-Pfalz nun mit dafür gesorgt, dass der seit Jahren geplante 330 Millionen Euro teure Hochmoselübergang gebaut wird. Dies war bis vergangenen Montag noch ungewiss, denn aufgrund des Umstandes, dass die SPD-Rheinland-Pfalz unter Ministerpräsident Kurt Beck bei der Landtagswahl Ende März die Mehrheit verloren hatte, musste sie sich die Grünen als Koalitionspartner mit in die Regierung holen. Die Grünen waren aber gegen das Projekt und hatten im Wahlkampf zahlreiche Bürgerinitiativen, die sich Sorge um ihren ungestörten Moselblick gemacht hatten, unterstützt. Doch nachdem der Bund in Person von Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) verkündet hatte, er wolle sich die von Berlin finanzierten bereits verbauten und verplanten 180 Millionen Euro von der Landesregierung zurückzahlen lassen, wenn das Projekt aufgegeben würde, knickten die Grünen ein. Doch als Gegenleistung für ihr Entgegenkommen ließen sich die Grünen den Verzicht auf den Bau einer anderen bereits geplanten Brücke von der SPD auf dem Altar der Koalition opfern.

In Nordrhein-Westfallen ist währenddessen die Zukunft des Kohlekraftwerkes Datteln noch immer ungewiss. Zwar regiert Hannelore Kraft (SPD) nun bald schon ein Jahr mit den Grünen zusammen in Düsseldorf, doch bisher hat man eine Entscheidung zu dieser Frage vermieden. Eon baut derzeit mit 900 Arbeitern weiter an den Kraftwerkteilen, für die eine Genehmigung vorliegt. Bei anderen Teilen herrscht derzeit ein Baustopp, doch der Energieversorger setzt darauf, dass es das zwei Milliarden Euro teure Kraftwerk Ende 2012 ans Netz nehmen kann, denn das massiv überschuldete Land Nordrhein-Westfalen, dessen Nachtragshaushaltsgesetz 2010 vom Verfassungsgerichtshof NRW als verfassungswidrig erklärt wurde, müsste mit massiven Schadensersatzklagen von Eon rechnen.

Auch die neue grün-rote Regierung in Baden-Württemberg dürfte, so das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 gekippt wird, mit Schadensersatzansprüchen rechnen, denn außer mit der Bahn gibt es zahlreiche Verträge mit Bauunternehmen, die das seit Jahren geplante Vorhaben umsetzen sollen. Und die schwarz-gelbe Bundesregierung sieht sich wegen ihres Atom-Moratoriums einer Schadensersatzklage des Energieerzeugers RWE gegenüber.

Doch selbst Klagen von verärgerten Unternehmen und sogar untereinander scheinen die politische Klasse bezüglich politischer Kehrtwenden und unsolider Haushaltsführung nur mäßig zu beeindrucken. Irgendwer zahlt auch hier. So ist Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) fest überzeugt, weiter mit rund 2,9 Milliarden Euro aus dem Länderfinanzausgleich rechnen zu können. „An der Frage des solidarischen Ausgleichs darf in einem föderalen Staat niemand rütteln. Dagegen eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht anzustrengen, ist aus meiner Sicht chancenlos“, so Wowereit, der sich im Herbst bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin wiederwählen lassen will.

Der Länderfinanzausgleich ist nur ein Beispiel dafür, dass es durchaus möglich ist, jemanden zu finden, der unsolide, nicht auf langfristigen Planungen beruhende Regierungsführung finanziert. Nicht von ungefähr regen sich Bayern, Hessen und Baden-Württemberg, die drei Hauptnettozahler in den 6,9 Milliarden Euro umfassenden Finanzausgleich, darüber auf, dass es in diesem Land rechtens ist, wenn überschuldete Nettoempfänger wie NRW Studiengebühren abschaffen beziehungsweise wie Berlin gar nicht einführen, während man selbst als Nettozahler sich derartiges nicht leisten kann.

Die neue grün-rote Regierung in Stuttgart will nun aber auch die Studiengebühren bei sich im Ländle wieder abschaffen, plant eine teure Energiewende und kann noch nicht sagen, wie teuer Stuttgart 21 (Volksentscheid im Herbst) noch wird, daher möchte auch sie gegen die jetzige Form des Länderfinanzausgleiches vorgehen. Der neue Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) will allerdings erst einmal eine Föderalismuskommission III anstreben, bevor er klagt. Bayern und Hessen dürfte der Weg zu langwierig sein, zumal auch sie ihr Geld selber gut gebrauchen könnten. Bayern wie auch Hessen müssen schon innerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen genügend Transferleistungen in strukturschwache Regionen leisten, dass für Solidarität außerhalb der eigenen Landesgrenzen eigentlich kein Geld mehr übrig ist. 23 Prozent des bayerischen Bruttoinlandsproduktes werden in München und Umgebung erwirtschaftet, andere Regionen hingegen sind derart strukturschwach, dass die jungen Leute flüchten und nur die Alten zurückbleiben. Ein solides Wirtschaften ist den Kommunen hier kaum noch möglich und sie finanzieren immer öfter ihre regulären Ausgaben über Kredite.

Eine schnelle Lösung im Länderfinanzausgleich ist allerdings nicht zu erwarten, wird dieser doch derzeit gerade sozusagen auf EU-Ebene ausgeweitet. Und schließlich wurde der kurz nach der Wende 1991 eingeführte, erst 2019 auslaufende Solidaritätszuschlag trotz falscher Anreize und unfairer Komponenten wie über Kredite finanzierte Soli-Beiträge von selbst überschuldeten Kommunen nicht maßgeblich überarbeitet. Allerdings dürfte der derzeit laufende Zensus 2011, die erste Volkszählung seit 1987, eine Veränderung im Länderfinanzausgleich bewirken. Da die Beträge von der Einwohnerzahl abhängig sind, dürfte so manche Kommune oder Stadt demnächst eine böse Überraschung erleben. Allein für Berlin wird davon ausgegangen, dass hier 200000 Einwohner weniger leben als bisher angenommen.         Rebecca Bellano


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