25.04.2024

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07.05.11 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-11 vom 07. Mai 2011

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,           
liebe Familienfreunde,

wenn ich mit Menschen spreche, die sich nie mit den Schicksalsfragen der Vertriebenen beschäftigt haben, dann stoße ich oft auf Unverständnis. Warum sollte man jetzt, mehr als 60 Jahre nach

Kriegsende, noch immer nach vermissten Angehörigen suchen? Gibt es denn noch authentische Zeugen, die etwas über die spurlos Verschwundenen aussagen könnten, ließen sich diese überhaupt finden? Aus Kindern wurden Erwachsene, die ihren Lebensweg unter fremden Menschen in einem fremden oder fremd gewordenen Land gehen mussten, die heute auf der Schwelle zu ihrem Lebensabend stehen oder ihn längst erreicht haben. Hat die Zeit die Erinnerungen an ihre Kindheit, die in unendlich erscheinender Ferne liegt, nicht längst gelöscht? Lasst doch die Vergangenheit ruhen! So sagen sie oder meinen es jedenfalls und sind dann sehr verwundert, wenn wir ihnen die Gründe der Suchenden erklären und von unseren Bemühungen um die ungelösten Schick-salsfragen berichten. Zu denen heute eine neue hinzukommt, die uns von Frau Brigitte Hawertz aus Remscheid übermittelt wurde. Die sie wiederum von Frau Brigitte Trennepohl aus Ibbenbühren erhielt, an die sich Frau Ilse Berg aus Diepholz als Suchende gewandt hat.

Das klingt etwas kompliziert, ist es aber nicht, denn beide Übermittlerinnen haben gute Vorarbeit geleistet. Frau Trennepohl als Betreuerin der „Wolfskinder“ aus ihrem Heimatkreis Gerdauen, Frau Hawertz als 2. Vorsitzende der Kreisgemeinschaft Gerdauen und Gestalterin des Heimatbriefes, in dem dieser Suchwunsch erscheinen wird. Da aber viele Landsleute angesprochen werden sollen – und das möglichst schnell, Zeit ist kostbar – bat mich Frau Hawertz, ihn auch in unsere Kolumne aufzunehmen. Was hiermit gerne geschieht, zumal die Informationen von Frau Berg so formuliert sind, dass es vorerst keiner weiteren Nachfragen bedarf, zumal auch beide Übermittler eigene Recherchen angestellt haben.

Es handelt sich um ein „Wolfs-kind“, eines jener Kinder, die – zumeist aus Nordostpreußen nach Litauen geflohen – dort trotz russischem Ausweisebefehl verblieben, untertauchten oder von den Bewohnern versteckt wurden. Sein Name: Erich Oelsner, *14. 02. 1939 in Reuschenfeld, Kreis Gerdauen, als jüngster Sohn des Postboten Fritz Oelsner und seiner Frau Minna, geb. Borchert. Die ältesten Kinder waren bereits erwachsen: Frieda *1920 war in einem Altersheim tätig, Fritz *1925 kam nach der Dachdeckerlehre zur Marine, Martha *1923 war Köchin auf einem Gut, verheiratet mit Erich Müller und Mutter eines Sohnes, Erna, *1929 und Ilse *1935. Die heute 75-jährige ist die Schwester, die noch immer nach ihrem Bruder sucht. Auch sie war ein „Wolfskind“ – aber das soll sie selber erzählen:

„Im Januar 1945 sind wir mit unserer Mutter, den Schwestern Martha und Frieda und anderen Reuschenfeldern zur Flucht aufgebrochen. Wir kamen aber nur bis Saalau, wo unsere Mutter an Entkräftung verstarb. Frieda, deren kleiner Sohn Manfred in Pr. Eylau verstorben war, beschloss mit Erich und mir nach Litauen zu gehen. Nach einigem Herumziehen sind wir nach Skaudville gekommen, wo ich von der Hebamme Habdank aufgenommen wurde, während mein kleiner Bruder keine Bleibe fand. Er zog in der Gegend umher und kam mal zu Frieda oder zu mir. Ich musste dann bei einer Bauernfamilie arbeiten, aber die Lage wurde unerträglich und so kam ich wieder zur Familie Habdank, wo ich es sehr gut hatte. Ich blieb auch dort, als Frieda nach Kaunas ging. Erich zog weiter als „Wolfskind“ herum, er wurde von den Litauern „Jürgi“ oder „Jörgi“ gerufen und sprach bald Litauisch. Als alle Deutschen 1951 schlagartig auf Befehl der Russen Litauen verlassen mussten, konnte ich ihn nicht suchen, weil die Miliz schon vor der Tür stand. Ich konnte mich nicht einmal von Frau Habdank verabschieden. Ganz allein musste ich die Ausweisung erleben. Mein Transport führte mich zunächst in das Auffanglager Fürstenwalde, wo ich bei jedem eintreffenden Zug nach den Geschwistern forschte. Dann kam ich in das Kinderheim Kyritz. Meine Hoffnung, dass dort auch Erich angelangen würde, hat sich leider nie erfüllt. Wir wissen nicht, ob er in Litauen blieb, sich als Litauer ausgab und dann unter anderem Namen dort lebt. Oder ob er in ein russisches Lager kam oder schon jung verstorben ist!“ Oder … oder … oder. Es gibt viele Möglichkeiten, wo und wie Erich weiter lebte, aber die Suche nach ihm blieb bisher ergebnislos. Ob über das Deutsche und Litauische Rote Kreuz, ob über Staatsarchive und andere Institutionen: Immer gab es nur negative Auskünfte. Sicher ist, dass Erich einen anderen Namen angenommen hat, er könnte vielleicht „Jurgis“ heißen. Da der Junge aber Anfang der 50er Jahre noch keinen festen Wohnsitz hatte, kann es auch sein, dass er aufgegriffen wurde und in ein russisches Lager kam. Mit Sicherheit hat er seine deutsche Herkunft verschwiegen, von der er gewusst hat, denn er hatte ja zu Beginn der 50er Jahre noch Verbindung zu seinen Schwestern. Da hielt sich der Zehnjährige im ländlichen Raum um Skandville auf, dort fühlte er sich wohl, nach Kaunas wollte er nicht. Wenn er noch lebt, dürfte der heute über 70-jährige längst eine eigene Familie haben. Nun heißt es also: Ostpreußische Familie, hilf! Natürlich ist der in Frage kommende Informantenkreis in unserer Leserschaft begrenzt, aber die PAZ wird ja auch von ehemaligen „Wolfskindern“ und ihrem Freundeskreis gelesen, und da docken wir unsere Hoffnung an. Vielleicht klingelt bald bei Frau Ilse Berg in 49356 Diepholz, Saaleweg 10, das Telefon: (05441) 3310.

Auch wenn eine negative Antwort kommen sollte – für die meisten Suchenden ist die Wahrheit wichtiger als die Ungewissheit, auch wenn sie schockiert. Und das nicht nur die Betroffenen, sondern auch für mitfühlende Leserinnen und Leser und vor allem die Landsleute, die sich als Mittler und Helfer um eine Aufklärung bemühen. Wie Herr Dietmar Wrage, der sich seit langem mit einem Vorfall beschäftigt, der sich im Februar 1945 in den Wirren der Flucht im Samland zugetragen hat. Herr Wrage hatte mir schon einmal eine Kurznotiz zukommen lassen, aber sie bestand nur aus wenigen Zeilen und bot zu wenig Information. Nun hat er sich erneut an mich gewandt, und da jetzt einige Fixpunkte vorhanden sind, die eine Veröffentlichung ratsam erscheinen lassen, erfülle ich gerne seinen Wunsch und bringe hiermit seinen Suchwunsch, den man als „Aufruf an eine Unbekannte“ ansehen kann, denn so hat er ihn formuliert:

„Sehr geehrte, liebe, unbekannte Landsmännin, nehmen Sie Ihr Geheimnis nicht mit ins Grab. Haben Sie und der Hubertus, dessen Namen Sie nicht kannten, überlebt? Es ist der 3. Februar 1945 auf dem Treck zwischen Goldschmiede und Fuchsberg im Samland. In einem schnellen Zugriff nehmen Sie das Kleinkind Hubertus Grigull, *13.08.1944, aus seiner sicher geglaubten Umgebung an sich und entschwinden unauffindbar. Auch jetzt nach über 66 Jahren kennt der Hubertus nicht seine wahre Identität. Haben Sie das Kind irgendwo abgegeben oder selbst aufgezogen, teilen Sie es mir mit!“

Was ist damals geschehen? Warum hat die unbekannte Frau das Kind von einem Treckwagen gegriffen und ist mit ihm weiter gezogen? Es war bitterkalt, und der erst fünf Monate alte Junge muss doch warm eingepackt gewesen sein, ein kleines Bündel Mensch. Hat es diese fremde Frau aus Mitleid getan, vielleicht, weil das hungernde Kind schrie und sie glaubte, dass sich niemand um es kümmerte? War es eine Kurzschlusshandlung, oder steckte eine Tragödie dahinter? Hatte sie vielleicht gerade ihr eigenes Kind verloren und ergriff sich ein anderes in ihrer verletzten Mütterlichkeit? Gewiss ist, dass der fremden Frau weder der Name noch die Herkunft des Kleinkindes bekannt waren, so dass die leibliche Mutter gar nicht gesucht werden konnte – aber wollte sie das überhaupt? Sind sie und das Kind umgekommen irgendwo auf der Flucht über Land oder auf See? Fragen über Fragen, und es sind wohl die schwierigsten, die wir je in unserer Ostpreußischen Familie gestellt haben, und wir dürften wohl kaum eine klärende Antwort bekommen. Trotzdem: Wer sich Herrn Dietmar Wrage mitteilen möchte, hier sind Anschrift und Telefonnummer: Am Steinkreuz 7 in 22941 Bargteheide, Telefon (04532) 400910, Fax (04532) 400980, E-Mail: pobethen-dietmar@t-online.de

Aber es gibt ja immer wieder Wunder! Denn wenn die Geschichte stimmt, die ein Leser bestätigt haben will, dann ist sie schon ein solches, denn sie klingt so, wie sie uns übermittelt wird, unglaubhaft. Allerdings muss sie schon vor längerer Zeit geschehen sein, da soll sie im Ostpreußenblatt gestanden haben. Leider kann sich niemand in der Redaktion an diese Veröffentlichung erinnern, ich auch nicht. In der „Ostpreußischen Familie“ dürfte sie nicht erschienen sein, jedenfalls nicht in den letzten drei Jahrzehnten, seit ich sie betreue – ich hätte sie nie vergessen. Genau wie Herr Rolf Müller aus Weeze, der sich an sie erinnerte, als er kürzlich ein Bild mit leuchtend rotem Mohn sah. Denn es war roter Mohn, der zu dem Wiederfinden eines Geschwisterpaares führte, das Krieg und Flucht auseinandergerissen hatten. Seine Frau hatte diese Geschichte genauso fasziniert, zumal sie ihre Heimat Ostpreußen betraf. Gertrud Müller war eine geborene Waltereit und stammte aus Pillupönen/Schlossbach, Kreis Stallpönen /Ebenrode Als sie vor zwei Jahren starb, blieb ihr Mann ein treuer Leser unserer Zeitung. Er suchte nun in ihrem Nachlass, in dem er auch den Zeitungsausschnitt mit der Mohn-Geschichte vermutete, nach dem Abdruck, konnte ihn aber nicht finden. Deshalb wandte er sich mit der Bitte an uns, ihm eine Kopie zu übersenden, aber wo suchen, wenn weder Titel noch Daten noch Namensangaben vorhanden sind? Der einzige Bezugsbegriff ist „roter Mohn“. Und das ist kurz gefasst die Geschichte, wie sie Herr Müller in Erinnerung hat: Irgendwo in Ostpreußen wächst während der Kriegsjahre ein Geschwisterpaar auf. Der Junge, der ein Muttermal hinter einem Ohr hat, malt mit Vorliebe Bilder von leuchtend rotem Mohn. Den finden er und seine Schwester ja auf den heimatlichen Feldern. Es kommt die Flucht, Eltern und Kinder werden auseinandergerissen. Die Schwester versucht immer wieder, ihren Bruder zu finden, gibt schließlich auf. Sie heiratet, bekommt einen Jungen. Als dieser in die Schule kommt, bringt er eines Tages ein von seinem jungen Lehrer gemaltes Bild mit. Es zeigt roten Mohn, von dem der Lehrer immer wieder erzählt. Sein Name sagt der Mutter aber nichts, doch sie geht mit ihrem Sohn in die Schule, um mit dem Lehrer zu sprechen: Es ist ihr Bruder. Den endgültigen Beweis erbringt das Muttermal hinter dem Ohrläppchen.

Fast klingt diese Geschichte zu schön, um wahr zu sein. Vielleicht handelt es sich ja auch um eine fiktive Geschichte, eine Erzählung, die vielleicht einen wahren Kern hat. Es wäre auch noch so vieles zu hinterfragen, aber das bringt uns nicht weiter. Was uns helfen könnte, wäre die Erinnerung einer Leserin oder eines Lesers an diese Veröffentlichung im „Ostpreußenblatt“. Sie müsste, wenn sie tatsächlich auf Wahrheit beruht, kurz nach dem Geschehen etwa in den 60er Jahren erfolgt sein. Der „rote Mohn“ könnte sich nicht nur Herrn Müller sondern auch anderen Lesern eingeprägt haben. Anscheinend hat seine Frau das betreffenden Ostpreußenblatt bewusst aufbewahrt, vielleicht, weil das Geschwisterpaar aus ihrer engeren Heimat stammte? Aber das sind Vermutungen. Wer konkrete Hinweise auf die Veröffentlichung geben kann, wende sich bitte an Herrn Müller oder an uns. Schon eine zeitliche Eingrenzung könnte weiter helfen. (Rolf Müller, Elisabethstraße 2 in 47652 Weetze, Telefon: 02837/95607)

Eure Ruth Geede


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