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07.05.11 / Ein ostpreußischer Dickschädel / »Herr kann jeder sein, aber Meister nicht« lautete der Wahlspruch des Schmieds

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-11 vom 07. Mai 2011

Ein ostpreußischer Dickschädel
»Herr kann jeder sein, aber Meister nicht« lautete der Wahlspruch des Schmieds

Der hochgewachsene Mann mit dem wallenden weißen Bart war Gutsschmied in Peremtienen gewesen. Es hatte ihm aber auf die Dauer nicht gefallen. Zwar war der alte Gutsherr recht umgänglich und hatte die handwerklichen Fähigkeiten seines Schmiedes zu würdigen gewusst. Aber seine beiden Söhne, die jungen Barone, verwechselten doch allzu oft Höflichkeit mit Jovialität und waren dann von einer herablassenden Freundlichkeit, die der Schmiedemeister nun gar nicht vertragen konnte. Er hatte gehört, wie der alte Herr seine Söhne einmal ermahnte, etwas bescheidener aufzutreten. Aber die hatten ihn nur erstaunt angesehen und mit dem Wahlspruch der Hohenzollern geantwortet: „Suum cuique.“ Nun ja, jedem das Seine! Sie waren sich ihres Standes sehr bewusst.

„Herr kann jeder sein, aber Meister nur, wer was gelernt hat“, murrte der Schmied in das Klingen des Schmiedehammers hinein, ließ sich aber weiter nichts anmerken.

So war die Überraschung groß in Peremtienen, als der Schmied dem Gutsherrn mitteilte, dass er Peremtienen verlassen und nach Gauleden ziehen würde, wo er die Dorfschmiede und etwas Land gekauft habe.

Das hatte man dem mit fast 50 Jahren für einen Schmied schon recht alten Mann nicht zugetraut und war auch überrascht, dass er den Kaufpreis hatte zusammensparen können. Aber das Angebot, die Bargeldzuwendung und das Deputat zu erhöhen, kam jetzt zu spät und hätte wohl auch vorher nichts bewirkt. Und so zog der Meister mit seiner Frau und der Familie seines jüngeren Sohnes Fritz, der das Handwerk bei ihm gelernt hatte – der ältere war Lokomotivführer geworden, und die drei Töchter waren in Königsberg verheiratet – nach Gauleden.

Dort war er in seinem Element. Hufeisen, Radnaben und Radkränze schmieden und alles genau einpassen, Pflüge, Eggen, Hungerharken, Mähmaschinen wieder in Ordnung bringen, Spaten, Schaufeln, Hacken, Feuerhaken schmieden – die Güte und Vielseitigkeit seiner Arbeit sprach sich weit herum. Das stärkte sein Selbstbewusstsein.

Natürlich nannte man sich auf dem Dorf beim Vornamen. Aber wenn jemand von außerhalb ihn ansprach: „Herr Naujokat“, wurde die Abneigung des Alten gegen Herrschaftsverhältnisse wieder lebendig: „Herr kann jeder sein, ich bin Meister.“

Und wehe dem Wandergesellen, der bei Meister Naujokat um Essen, Nachtlager und drei Tage Arbeit vorsprach und auf die Frage: „Wie heißt der Spruch?“ keine Antwort wusste. Der bekam zwar das Essen und das Quartier, musste aber am nächsten Tag weiterziehen. Wer jedoch den Handwerkerspruch der wandernden Schmiedegesellen richtig hersagte, konnte dem Meister drei Tage zur Hand gehen, vielleicht noch etwas Neues lernen, und er bekam ein gutes Stück Geld mit auf die Wanderschaft. Geizig war der Alte nicht.

Was gab es Neues bei ihm zu lernen? Er und Fritz reparierten auch die neu aufgekommenen Motorräder. Die Maschinen versagten öfter den Dienst, und der Schaden hielt sich meist in Grenzen, wenn jemand auf einem Feldweg in eine Fahrspur oder eine allzu tiefe Pfütze geraten war und sich mit der Maschine in den Sand gelegt hatte.

Der eigentliche Feind der Motorradfahrer aber war die mit Kopfsteinen gepflasterte Dorfstraße bei Regen. Da sie des besseren Wasserabflusses wegen eine leichte Schräge hatte, konnten die Maschinen abrutschen, und dann schepperte es gewaltig. Gabel- und Rahmenbrüche wurden von dem Alten behoben, Motor, Kabelzüge, Schaltung brachte Fritz wieder in Ordnung.

Und so wurde der Dorfschmiede bald ein Motorradgeschäft angegliedert. Der ostpreußische Dickschädel des alten Schmiedes hatte zum Erfolg geführt. Seine schlichte Übersetzung des Wahlspruchs der Hohenzollern „suum cuique“ lautete nun: „Wer was gelernt hat, braucht sich nicht zu ducken.“ Klaus-Dieter Kaspereit


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