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07.05.11 / Die Beförderung des Schrankenwärters Plewka / Walter war an der Kreuzung zwischen Bahnlinie und Chaussee zur Kreisstadt im Einsatz − Prüfung vor würdig dreinblickenden Beamten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-11 vom 07. Mai 2011

Die Beförderung des Schrankenwärters Plewka
Walter war an der Kreuzung zwischen Bahnlinie und Chaussee zur Kreisstadt im Einsatz − Prüfung vor würdig dreinblickenden Beamten

Als die Eisenbahn nach Masuren kam, wurde auch in Stroppau eine Haltestelle eingerichtet. Und weil durch dieses Bauerndorf eine Chaussee führte, die zwei Kreisstädte miteinander verband, musste der darauf fließende Verkehr durch Schranken gesichert werden. Denn es hätte sonst ein Unglück geben können, wenn zum Beispiel ein Personenzug mit einem Mistwagen zusammengestoßen wäre, wovon in Stroppau nicht wenige vorhanden waren. Zur Bedienung dieser Verkehrsanlage war natürlich ein Schrankenwärter nötig. Und dieses Amt erhielt Walter Plewka, der nach vierjähriger Militärzeit mit einem Versorgungsschein entlassen worden war. Nun saß er Tag für Tag im Bahnwärterhäuschen und tat, was seine Pflicht erforderte. Die bestand darin, dass er beim Herannahen eines Zuges die Schranken zu beiden Seiten der Gleise mittels einer Handkurbel herabließ und anschließend wieder hochhievte.

Solche Tätigkeit hatte er in jeder Schicht etwa ein Dutzendmal auszuüben, so dicht war der Verkehr auf der von ihm betreuten Bahnstrecke. Und Walter Plewka verrichtete seine Arbeit zur Zufriedenheit der Bahnoberen. Die übrigen Einwohner von Stroppau, knapp 600 an der Zahl, erblickten ihn nur noch mit seiner roten Dienstmütze, denn die trug er voller Stolz selbst in der Freizeit und sogar dann, wenn er auf dem von seinen Eltern ererbten Kartoffelacker zu tun hatte.

Nun könnte mancher meinen, der Beruf eines Schrankenwärters an einer Bahnstrecke im tiefsten Masuren sei ohne besondere Höhepunkte gewesen, sozusagen von Langeweile und Ereignislosigkeit erfüllt. Dem war beileibe nicht so, wie einige Szenen aus dem Arbeitsleben des Walter Plewka aus Stroppau zu beweisen vermögen. Das eine oder andere davon verdient durchaus, hier erzählt zu werden.

Es war ein Tag wie jeder andere, Walterchen hatte soeben die Schranken heruntergekurbelt, weil in wenigen Minuten der Frühzug in Stroppau eintreffen sollte. Wie üblich bildeten sich auf der Chaussee beiderseits der Gleise immer größer werdende Grüppchen, die geduldig darauf warteten, dass der Weg frei wurde. Da war etwa der Bauer Erich Sawatzki, der mit ein paar Säcken voller Roggen zur Mühle wollte. Ihm folgte die Witwe Amalie Stach mit ihrer einzigen Kuh am Strick, die auf die Weide musste. Dann kam Herr Marek, der Gutsinspektor in seinem Einspänner. Auf der anderen Seite stand der Milchwagen, welcher mit leeren Kannen von der Molkerei zurückkehrte. Und ganz dicht an der Schranke wartete Briefträger Rautenberg mit vollgepacktem Dienstfahrrad.

Es soll hier nicht jeder erwähnt werden, der dazu beitrug, was heutzutage „Verkehrsstau“ heißen würde. Denn die Schlange aus Menschen, Tieren und Fuhrwerken wurde immer länger. Doch keine Dampfwolke verkündete das Herannahen des Zuges. Stattdessen erschien Walter Plewka. Forschen Schrittes kam er heran und gab aus seiner Trillerpfeife ein schrilles Signal, das jedermann aufmerken ließ. „Alle mal herhören“, verkündete der Schrankenwärter mit lauter Stimme. „Ich habe zu bitten um Aufmerksamkeit. Denn es hat sich ergeben, dass gewartet werden muss noch ein ganzes Weilchen. Nämlich, man hat angeläutet bei mir, dass der Zug Verspätung haben wird, ein Dreiviertelstündchen oder noch bisschen mehr. Es ist also nötig, zu warten so lange!“ Walter Plewka wandte sich um und schritt seelenruhig zurück zu seinem Wärterhäuschen.

Selbstredend machte diese Geschichte die Runde nicht nur in Stroppau und Umgebung, sondern auch in Eisenbahnerkreisen. Jedoch, über alles wächst mit der Zeit Gras und so kam es, dass Walter Plewka befördert werden sollte. Voraussetzung war freilich eine Prüfung, abzulegen in praktischen wie theoretischen Berufsfragen. Welches zu geschehen hatte vor einem Gremium würdig blickender Bahnbeamter aus der Stadt. Alles lief soweit ganz zufriedenstellend ab. Als Walterchen bereits erleichtert aufatmen wollte, kam aber eine allerletzte Frage, gestellt vom obersten der Prüfungskommission. Sie lautete so: „Mal angenommen, es kommt ein Eilzug von links und von rechts eine Lokomotive mit ein paar Güterwagen. Und das alles auf einer eingleisigen Strecke. Was, bitte sehr, wäre zu tun in solcher Lage?“

Der angehende Oberschrankenwärter kratzte sich erst einmal ausgiebig den Schädel. Dann gab er zur Antwort: „Ich möchte, Herr Inspektor, holen meine Frau und die Kinderchen.“ Der gestrenge Prüfer reagierte unwirsch: „Warum so was, zum Kuckuck!“ Und Walter Plewka aus dem masurischen Stroppau erklärte in aller Gemütsruhe: „Nu, weil die haben noch nie gesehen so einen Zusammenstoß.“ Er ist wenig später aber doch noch befördert worden, unser schlagfertigerWalter. Und sein höherer Rang brachte es mit sich, dass er gelegentlich auf dem Bahnhof eingesetzt wurde, zum Dienst am Kunden sozusagen. Auch dort erwies sich der frischgebackene Oberschrankenwärter als williger und brauchbarer „Bahner“, der gut umzugehen verstand mit den Fahrgästen.

So erschien eines Tages etwa der Altbauer Heinrich Maruttis auf der Stroppauer Station und wollte wissen: „Wo, bitteschön, kann man hier bekommen eine Fahrkarte?“ Walter Plewka rückte seine Amtsmütze zurecht und erklärte im „kategorischen Imperativ“ dieses: „Das heißt nich‘ mehr Fahrkarte, das heißt jetzt Billet!“ Heinrich Maruttis, der in die Kreisstadt wollte, um sich eine neue Tabakspfeife zu kaufen, nahm diese Belehrung mit nur leichtem Erstaunen zur Kenntnis. „Meinswegen“, sagte er gleichmütig, „und wo, Herr Beamter, wo gibt’s diese Billets?“ Walter Plewka antworte hoheitsvoll: „Wo wird’s sie geben? Am Fahrkartenschalter natürlich!“ Heinz Kurt Kays


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