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14.05.11 / Milliardenverträge in Gefahr / Innerrussischer Streit um Gaddafi − In Nahost verliert Moskau zahlungskräftige Kunden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-11 vom 14. Mai 2011

Milliardenverträge in Gefahr
Innerrussischer Streit um Gaddafi − In Nahost verliert Moskau zahlungskräftige Kunden

Russlands Präsident Dmitrij Medwedew entließ seinen Botschafter in Lybien, weil der es gewagt hatte, an die wirtschaftlichen Interessen russischer Firmen dort zu erinnern. Doch was der Botschafter für Lybien aussprach, trifft auch für andere arabische Länder zu, in denen Russland − zumindest wirtschaftlich − an Einfluss verliert.

Russlands Hauptopfer arabischer Unruhen, Wladimir Tschamow, 1955 in Moskau geboren, ist russischer Diplomat mit der solidesten Nahosterfahrung. Nach erfolgreichen Einsätzen im Tschad, Tunesien und Irak war er seit 2008 Botschafter in Libyen, von wo ihn Präsident Medwedew abberief – wegen „Unfähigkeit“ und „unter Aberkennung aller Ränge und Ehren“. Dahinter stand die UN-Resolution 1973 vom 17. März zur Flugverbotszone über Libyen, der Russland nicht zustimmte – wie China, Deutschland und andere –, gegen die es aber auch kein Veto einlegte. Deswegen nannte der Botschafter seinen Präsidenten telegrafisch einen „Feigling“, worauf der ihn ganz undiplomatisch feuerte. So streute es der Geheimdienst unters Volk.

Wieder in Moskau, bestritt Tschamow, umgehend zum Medienliebling avanciert, zwar den Ausdruck „Feigling“, memorierte aber seinen Klartext an Medwedew: „Ich betonte in meinem Telegramm, dass wir mit Libyen engstens kooperieren und es nicht in Russlands Interesse liegt, einen solchen Partner zu verlieren. Russische Konzerne haben auf Jahre hinaus sehr profitable Verträge über Milliarden Euro geschlossen, die sie nun verlieren werden. In einem gewissen Sinne kann man das als Verrat an Russlands Interessen auffassen.“

Damit begann ein innerrussischer Streit, der seit Wochen anhält und nichts und niemanden verschont: Russische Freiwillige wollen für Gaddafi kämpfen, denn „die ganze Operation gegen ihn ist eine gigantische Lüge wie alle früheren Aktionen der USA und der Nato gegen souveräne Länder“. Die Duma billigte Russlands Enthaltung, Premier Putin nannte die UN-Resolution eine Aufforderung zum „Kreuzzug“, was Präsident Medwedew wütend zurückwies, Ex-Botschafter Tschamow aber als „nahe an der Wahrheit“ lobte. In international angesehenen Fachblättern wie „Russland in der Globalpolitik“ sind russische Nahostexperten dabei, den Wutausbruch des Diplomaten als berechtigte Kritik zu untermauern. Dabei werden immer wieder fünf grundsätzliche Aspekte betont.

Zum ersten ist da der weltpolitische Blickpunkt: Russlands Reserviertheit gegenüber arabischen Aufständischen wird nur noch von Israel geteilt, aber die Gegnerschaft gegen Israel ist das letzte einigende Band unter Arabern, was Russland in naher Zukunft ungewollt und bitter spüren wird. Zum zweiten ist Russland dabei, in ganz Nahost altbewährte Partner und zahlungskräftige Kunden zu verlieren. Hier rächt sich jüngste russische Unentschlossenheit in der Uno, die Araber als Verrat an jahrzehntelangen Freundschaftsbekundungen aus Moskau empfinden. Mehr noch: Exakt 20 Jahre nach dem Zerbrechen der UdSSR muss Moskau damit rechnen, dass die arabischen Unruhen auf das „nahe Ausland“ der islamischen Ex-Sowjetrepubliken überschwappen. Totalitarismus, Massenarmut und Korruption sind in Nahost so endemisch wie in der GUS, und wenn es in der erst kracht, wird keine „samtene Revolution“ wie weiland in Prag herauskommen, warnt Michail Margelow, Duma-Abgeordneter und Medwedews Afrika-Berater. Zum dritten können die Russen bereits nahöstliche Milliardenverluste berechnen. Nach dem Irakkrieg von 2003 dauerte es sechs Jahre, bis die Firma „Lukoil“ im Irak erneut Ölgeschäfte tätigen konnte. In Libyen werden Russen vermutlich nie wieder auftauchen, weil die dortigen Aufständischen Ölgeschäfte lieber mit „Shell“ tätigen. Und die mit Jemen und Algerien noch unlängst geschlossenen Verträge über Öl- und Gaserschließung platzten wie Seifenblasen, seit vor Ort Demonstranten die Straße regieren. Viertens hat Russland Riesenverluste bei Waffengeschäften zu gewärtigen. Anfang Mai stornierte Indien Aufträge über elf Milliarden Dollar – zeitlich letzter Rückschlag nach vielen vorherigen. Mit Libyen schloss Russland 2009 Milliardenverträge ab, mit Jemen 2010, aber 2011 fragt sich Moskau, ob und wann es Geld sehen wird. Einstige sowjetische Marinebasen in Libyen und Jemen wollen dortige Machthaber reaktivieren, denen gerade dortige Aufständische das Halali blasen. Im syrischen Tartus unterhält Russland seit 1971 seine letzte Basis „im ferneren Ausland“, die 2010 vertraglich aufgewertet wurde, aber demnächst an der syrischen Opposition und deren Protektor Saudi-Arabien scheitern dürfte. Und ähnliche Pleiten mehr: Ein grober Überschlag ergibt, dass sich die Verluste aus entgangenen Öl- und Waffengeschäften auf mindestens 25 MIlliarden Euro belaufen. Hinzu kommen russische Ausgaben für die Schulung ziviler und militärischer „Kader“ an Moskauer Hochschulen und weitere Altlasten aus Sowjetzeiten.

„Waggons voll Geld“ (so Moskauer Blätter) braucht Russland fünftens, falls es Tausende Landsleute aus Nahost heimholen muss: Techniker. Ölexperten, 20000 Touristen, aus Syrien allein 30000 russische Ehefrauen und Kinder von Syrern, die einst in der UdSSR studierten. Ob man eigene Schiffe und Flugzeuge mobilisiert oder solche in Montenegro least, ist nur ein Posten in Moskaus großer Verlustrechnung. In Syrien, Libanon, Libyen, Sudan und im Irak hat Russland ausgespielt – gegen­über den USA und noch deutlicher gegenüber China, das heute schon Straßen und Fabriken für künftige Deals baut. Früher war der russische „Wolga“ ein beliebter Wagen bei Arabern, derzeit haben ihm chinesiche Jeeps der Marke „Great Wall“ den Rang abgelaufen. Wolf Oschlies


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