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14.05.11 / Abschottung Europas ist auf Dauer keine Lösung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-11 vom 14. Mai 2011

Gastbeitrag
Abschottung Europas ist auf Dauer keine Lösung
von Eigel Wiese

Die afrikanische Küste liegt näher als die nächste große italienische Insel oder gar das Festland. Nur 130 Kilometer sind es bis nach Tunesiens Küste, 205 Kilometer bis nach Sizilien. Das macht Lampedusa zum ersehnten Ziel von Flüchtlingen aus Afrika. Denn auf der kleinen Mittelmeerinsel gibt es italienische Behörden, die Insel ist der nächstgelegene Außenposten Europas. Ganze Familien haben Geld zusammengelegt, damit einer von ihnen eines der gelobten Länder nördlich des Mittelmeeres erreicht, in der Hoffnung, dort Arbeit zu finden und seine Angehörigen mit Geldsendungen zu versorgen. Lampedusa ist der Punkt Europas, den sie am schnellsten erreichen können. Die Menschen fahren in Schiffen, die eigentlich für den Fischfang oder Küstentransporte eingerichtet sind und auf denen fünf, sechs Männer zur Besatzung gehören. Auf ihrer Flucht sind diese Boote so voll, dass die Menschen kaum sitzen können. Seit die libysche Armee gegen die Rebellen im eigenen Land kämpft, hat der Flüchtlingsstrom noch zugenommen. Allein im Verlauf einer einzigen Woche kamen im April 6000 Flüchtlinge aus Tunesien auf Lampedusa an, einer Insel, auf der 4500 Einheimische leben. Zwei Flüchtlingslager gibt es dort, die Versorgung ist katastrophal, und immer wenn die italienischen Behörden zur Entlastung der Lager Menschen auf das Festland gebracht haben, sind schon wieder neue auf der Insel gelandet.

Europa versucht, den Zustrom aus Afrika einzudämmen. Während Staaten innerhalb des Schengenraumes die Binnengrenzen abbauen, bemühen sie sich, die Außengrenze möglichst abzuschotten. Dafür gründeten sie die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, kurz Frontex genannt, eine Zusammenziehung aus dem Französischen für „frontières extérieures“, den Außengrenzen. Sie wurde 2004 ins Leben gerufen und hat ihren Sitz in Warschau. Frontex koordiniert die Zusammenarbeit der EU-Staaten gegenüber der Welt außerhalb, unterstützt die Mitgliedstaaten bei der Ausbildung ihrer jeweiligen nationalen Grenzschutzbeamten und leistet auch Hilfe bei der Rückführung von Flüchtlingen. Pro Jahr steht ein Etat von 88 Millionen Euro zur Verfügung, zur Erfüllung der Aufgaben verfügt sie über mehr als 20 Flugzeuge, 25 Hubschrauber und 100 Boote.

Für den Einsatz auf Lampedusa schickte Frontex rund 50 Spezialisten auf die kleine Mittelmeerinsel. Es sind Fachleute aus verschiedenen Mitgliedsländern, überwiegend kommen sie aus frankophonen Staaten, denn dieser Sprache sind auch die meisten Flüchtlinge mächtig. Es handelt sich um Experten, die, ebenso wie die Ausrüstung, von den Mitgliedstaaten freiwillig zur Verfügung gestellt werden. Die Frontex-Truppe hat die Aufgabe, Flüchtlinge, die es bis an Land geschafft haben, zu identifizieren und zu befragen: Unter anderem darüber, woher sie kommen und auf welchen Wegen sie Europa erreicht haben.

Die Tätigkeit von Frontex ist stark umstritten, eine Einigkeit der Entsenderstaaten in der Vorgehensweise nicht erkennbar. So müssen sich die Mitarbeiter auf der einen Seite von Flüchtlingsorganisationen vorwerfen lassen, immer wieder gegen Seerecht und Genfer Flüchtlingskonventionen zu verstoßen, indem sie Bootsflüchtlinge mitten auf dem Meer abweisen und ihrem Schicksal überlassen. Auf der anderen Seite kritisieren Polizeiexperten Frontex, weil sie die Organisation nicht für effektiv genug halten. So forderte die Deutsche Polizeigewerkschaft, die Agentur zu einer 2500 Mann starken EU-Küstenwache mit eigenen Schiffen auszubauen. Erkennbar ist über die Nationen hinweg ein politischer Grundzug, Europa gegen Wirtschaftsflüchtlinge abzuschotten. Während deutsche Politiker und Wirtschaftsfachleute den Zuzug qualifizierter Fachkräfte für unbedingt notwendig halten, wollen sie Menschen draußen vor halten, die aufgrund der Struktur ihrer Länder niemals die Möglichkeit hatten, irgendeine Qualifikation zu erwerben.

Unterdessen macht sich unter den Flüchtlingen in den Lagern immer mehr Ärger und Frust breit. Sie klagen darüber, nicht ausreichend Lebensmittel und Wasser zu erhalten, und drohen mit Hungerstreiks. In erster Linie fordern sie, bald von der Insel weggebracht zu werden. Ministerpräsident Berlusconi versprach, Lampedusa zu unterstützen und die Flüchtlinge von der Insel zu bringen, damit dort das normale Leben wieder einkehren könne. Als ersten Schritt gab die italienische Regierung zehntausenden Flüchtlingen ein vorläufiges Visum. Damit konnten sie in alle anderen Länder des Schengen-Abkommens reisen. Das wiederum stieß auf Ablehnung und Kritik der Regierungen in Deutschland und Frankreich, die bevorzugte Länder für die Einreisen sind. Deutschland kündigte an, das brisante Thema beim EU-Innen- und Justizministertreffen anzusprechen. Italien fühlt sich alleingelassen und beschwert sich über unterbliebene Hilfe aus der EU. Als eine weitere Maßnahme kündigte Berlusconi an, er werde italienische Küstenwachschiffe vor die tunesische Küste schicken und außerhalb des tunesischen Hoheitsgebiets Patrouille fahren lassen, damit Flüchtlingsboote gleich dort aufgegriffen und sofort zurück­geschickt werden können.

Deutschland und andere EU-Staaten wehren sich dagegen, Flüchtlinge von Lampedusa aufzunehmen. Die Unterschiede der Meinungen ziehen sich quer durch die Parteien. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagt, die erste Frage der Bundesregierung an die italienische Regierung hätte sein müssen, welche Hilfe man brauche, um die Flüchtlinge vor Ort zu versorgen. SPD-Innenexperte Sebastian Edathy dagegen meint, man dürfe das Flüchtlingsproblem nicht auf die Mittelmeeranrainer abschieben. „Schon gar nicht geht es an, dass deutsche Regierungspolitiker die demokratischen Aufstände in Nordafrika begrüßen, aber dann die Hände in den Schoß legen, wenn genau deshalb Flüchtlinge nach Europa kommen.“ Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), warnt angesichts des anhaltenden Flüchtlingsstroms aus Nordafrika davor, die Situation zum Vorwand für eine unkontrollierte Einwanderung nach ganz Europa zu nehmen: „Die Insel Lampedusa ist in der Tat überfordert, aber doch nicht Italien insgesamt. Wenn wir jetzt das Signal aussenden ‚Wer es bis Lampedusa schafft, kann in Europa bleiben!‘ wird der Zustrom weiter ansteigen – und das sollten wir vermeiden.” Grünen-Parteivorsitzende Claudia Roth fordert die vorübergehende Aufnahme von Flüchtlingen. Eine Unterstützung der Menschen, etwa durch Studien und Stipendien, helfe diesen bei der Rückkehr und beim Aufbau ihrer Heimatländer.

Derzeit kurieren Europas Politiker eher ratlos an den Symptomen. Eine langfristige Lösung ist nicht zu erkennen. Dabei drängt das Problem. Die Bevölkerungszahlen in Afrika steigen weiterhin, aber die Chancen auf ein menschenwürdiges Leben in weiten Teilen des eigenen Kontinentes verschlechtern sich. Selbst wenn Europa seine Grenzen rigoros abschottet, wird der Druck sich verstärken und möglicherweise in Gewaltaktionen Bahn brechen. In einer globalisierten Welt ist Abschottung daher keine Erfolg versprechende Methode. Es muss nach Wegen gesucht werden, die es den Bewohnern Afrikas ermöglichen, ein Leben mit Zukunftschancen auf ihrem eigenen Kontinent zu führen.

 

Eigel Wiese ist Schifffahrtsjournalist und Buchautor. Er lebt und arbeitet in Hamburg.


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