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14.05.11 / Kühnes unter tiefblauem Himmel / Atemberaubende junge Architektur kündet vom Neubeginn in Reval, der Kulturhauptstadt Europas 2011

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-11 vom 14. Mai 2011

Kühnes unter tiefblauem Himmel
Atemberaubende junge Architektur kündet vom Neubeginn in Reval, der Kulturhauptstadt Europas 2011

Tallinn, das alte Reval, mit seiner mittelalterlichen Altstadt zieht gerade im Jahr der Kulturhauptstadt Europas zahlreiche Touristen an. Die unmittelbare Lage der Stadt am Meer ist ein Glücksfall.

Es ist ein Traum, wenn man an Bord eines der zahlreichen Kreuzfahrtschiffe vom Meer aus auf die Stadt zufährt und die Silhouette mit den vielen gotischen und barocken Türmen wahrnehmen kann. Die alte Hansestadt stellt sich bei diesem Blick als ein bedeutendes Kunstwerk dar. Durch zahlreiche Renovierungen und Restaurierungen hat man in der Altstadt Erstaunliches geleistet, so dass sie mit ihren heute noch vorhandenen Teilen der alten Stadtmauer als Juwel unter den mittelalterlichen Städten Nordeuropas zählt. Im Jahr 1530 hatte die Stadtmauer eine Länge von etwa drei Kilometern und besaß 46 Wehrtürme, heute sind es nur noch 28 Türme. Die Stadtmauer ist auch nur noch 1,85 Kilometer lang. 1997 wurde die Altstadt von Reval zum Weltkulturerbe der Unesco erklärt.

Doch auch die neue Zeit zeigt sich in der Stadt. Neben den üblichen Bauten, wie Hotels, Verwaltungs- Kultur- und Wohngebäuden, die durchaus Charakter haben, zeigt sich als Beispiel ein Bürogebäude in der Neustadt spitzwinkelig mit einer wellenförmigen Glasfassade auf den Freiheitsplatz ausgerichtet (1993–98).

In der Nähe des Schlosses Kadriorg, das Peter I. zwischen 1718 und 1725 als Sommerresidenz errichten ließ, liegt das „KUMU“, das neue Kunstmuseum – ein sichtbares Zeichen zeitgemäßer Architektur. Terrassenförmig in eine Hangsituation mit mondsichelförmigem Grundriss eingebunden, ist dieser gelungene Komplex das Werk des finnischen Architekten Pekka Vabavori, das 2006 eröffnet wurde. In sowjetischer Zeit wurde das zwischen Altstadt und den Kaianlagen gelegene Areal des Hafens, damals von Speichern, Lagerhäusern und Fabriken besetzt, als Grenzgebiet mit freier Sicht auf das Meer, zur verbotenen Zone umfunktioniert. Durch Abriss verlor der Hafen einen großen Teil seiner Gebäude. So entwickelten sich ganze Gebiete entlang des Küstenbereichs zu einem trostlosen Niemandsland und in Reval weitgehend zur Stadtbrache. In diesem tristen Gebiet – dem sogenannten Rotermanni Kvartal entsteht zurzeit ein neues Stadtviertel, die Neue Hafencity von Reval. Junge Architekten, allen voran der umtriebige Andres Koressaar, entwerfen hier ihre Zukunftsperspektiven für das Wohnen und Arbeiten. Die verrücktesten und gewagtesten Ideen wurden bereits im ersten Bauabschnitt umgesetzt und fertiggestellt. Da werden die wenigen, noch vorhandenen Fabrikgebäude, fast durchweg massiv im heimischen Kalksteinmauerwerk errichtet, mit teuren Lofts und aufgesetzten Glaskuben versehen, welche die neue Zeit verkünden. Umgeben und locker eingewoben zeigt sich ein Architektur-Konglomerat mit restaurierten Resten alter Gemäuer, die mit den neu errichteten und lebendig gestalteten Baukörpern in oft ungewohnter, jedoch stimmiger Farbigkeit diesen aufregenden Gang durch das neue Areal zu einem spannenden Erlebnis werden lassen. Da steht ein sehr streng gestalteter sieben-geschossiger Baukörper, verklinkert mit stark rot-orangenem Back-steinmauerwerk im Abstand zu einem leicht abgewinkelten gleichhohen Gebäude, das mit seinem tiefschwarz eingefärbten Backsteinmauerwerk eine fast explosive, jedoch äußerst geschickte und überlegte Fassadengestaltung vorweist. Dahinter anschließend ein Baukörper, der mit seiner sehr stark gegliederten, vertikalen Fassadengestaltung den Betrachter in Erstaunen versetzt. Da sind sehr schlank gestaltete Giebelelemente, vom Boden bis zum Dach reichend, mit ihren ebenfalls schlanken schwarz erscheinenden Fassadenflächen mit Außenummantelung versehen, die sich einheitlich auch im Bedachungsbereich fortsetzt.

Zwischen den Gebäuden immer wieder aufwärts führende, sich verengende Gassen, die wieder abwärts fallend sich verbreitern. Freie Plätze, mit Holzbohlen in Mustern für spielende Kinder ausgelegt, doch auch normale Straßen, die auf einen Marktplatz zulaufen, der noch ganz bescheiden seine ersten Stände vorweist.

Dann plötzlich ein Gebilde, wie eine kantige Plastik aus der Gebäudeflucht herausragend, darunter ein dreieckiger, schluchtartiger Zugang, nach unten weisend, mit schon sehr im Schatten zurückliegendem Portal, ohne Hinweis, was neugierig macht – und plötzlich befindet man sich in einem großen, geräumigen, dann wieder verwinkelten Einkaufszentrum. Irgendwo gelangt man wieder ins Freie und ist erneut eingewoben in diese spannende und noch etwas unwirkliche Atmosphäre, die dann noch gewinnt durch den tiefblauen Himmel, der alles in das klare Licht des Nordens taucht. Christian Papendick

Kulturhistorische Reise: Führung durch Reval und anschließende Rundreise durch Estland mit dem Autor vom 9. bis 18. Juni 2011. Nähere Informationen unter Telefon (040) 803132.


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