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14.05.11 / Groß trotz widriger Zeiten / Anschauliches Bild Preußens von 1807 bis 1815 gezeichnet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-11 vom 14. Mai 2011

Groß trotz widriger Zeiten
Anschauliches Bild Preußens von 1807 bis 1815 gezeichnet

Der 1926 in Berlin geborene Schriftsteller Günter de Bruyn ist in der DDR bekannt geworden, hatte sich aber schon vor der Wende auch in der „alten“ Bundesrepublik eine treue Leserschar erworben. Nach der Wende mutierte er, wie man früher wohl gesagte hätte, zu einem „borussischen“ Autor, indem er sich mehr und mehr der Berlin-Brandenburgischen Geschichte zuwandte und Bücher über Königin Luise und über Berlins Prachtstraße Unter den Linden schrieb. Insbesondere sein vorletztes, als „opus magnum“ gepriesenes Werk über die kulturelle Blüte Berlins zwischen 1780 und 1806 vereinigte gleichermaßen poetische Eleganz und historische Tiefe. 

Sein neuestes Buch über Preußens schwere Jahre zwischen der Niederlage gegen Napoleon 1806 und dem Beginn der Befreiungskriege zeigt erneut, wie sehr de Bruyn inzwischen in der preußischen Geschichte verwurzelt ist.

Anhand von knapp 50 Porträts der wichtigsten Persönlichkeiten aus Politik, Militär, Wissenschaft und Kunst  – wobei die Beiträge über Künstler und Literaten überwiegen –  zeigt de Bruyn, dass Preußen gerade in widrigster Zeit groß war oder besser: groß wurde, indem es sich dank seiner geis-tigen und moralischen Qualitäten gleichsam selber aus dem Sumpf zog. Selbstverständlich sind dabei Königin Luise, die Politiker v. Stein, Hardenberg, die Militärs Gneisenau, Scharnhorst, Marwitz und Lützow, die Bildhauer Schadow und Rauch, Literaten wie Kleist, Chamisso, Arnim und Eichendorff aufgenommen, aber doch auch eine ganze Anzahl weniger bekannter Personen wie etwa der umstrittene Verleger Friedrich Nicolai, die umtriebige Rahel Levin und ihr Ehemann Varnhagen von Ense, die Dichter François und Fouqué oder die graue Eminenz neben v. Stein und Hardenberg, Friedrich August Staegemann.

In der Summe ergeben diese meist nur acht bis zehn Seiten umfassenden Porträts ein anschauliches Bild von einer Stadt und einem Land, das die tiefste Erniedrigung seit Menschengedenken als unentwegten Ansporn empfand, aus dem Elend und der Schmach wieder herauszukommen. Denn nach der Niederlage von Jena und Auerstedt hing das Schicksal des nach dem Frieden von Tilsit um die Hälfte dezimierten Landes wiederholt am seidenen Faden.

Aber Preußen, zumal Berlin, brodelte. Immer wieder drängten Reformer, vor allem heißblütige Köpfe wie Kleist, Schill oder Lützow, zum Aufstand gegen den verhassten französischen Imperator; andere wie die rationaleren Militärs, vor allem aber Hardenberg wussten, dass ein zu frühes Losschlagen den völligen Untergang des Staates bedeuten würde. Dieser Meinung war auch König Fried-rich Wilhelm III.; de Bruyns überzeugende Billigung von dessen angeblich zögerlichen Haltung kommt einer Ehrenrettung dieses Monarchen gleich.

Das Buch fasziniert einmal mehr durch die Detailkenntnis des Autors sowohl zu einzelnen Personen als auch zu kleins-ten und abgelegensten Ereignissen wie Heirat, Scheidung, Krankheit und Tod, Reisen und Veröffentlichungen sowie militärischen Positionen. Sein Wissen gereicht jedem Historiker preußischer Geschichte zur Ehre. Hinzu kommt de Bruyns poetische Gabe, seine Fähigkeit und wohl auch seine Neigung, sich in die Mentalität seiner damaligen „Kollegen“ hineinzuversetzen, um deren manchmal wirre Gedanken verständlich zu machen. Was Dichter wie Kleist und andere dachten, drang ja weit in die Kreise von Verwaltung und Militär.

Offiziere, sagt de Bruyn, „die literarisch im weitesten Sinne tätig waren, hat es nie so viele wie in den Jahrzehnten um 1800 gegeben“. Und umgekehrt waren Künstler und Professoren 1813, als der Aufstand mit des Königs berühmten Aufruf „An mein Volk“ losbrach, mit Feuereifer dabei, meldeten sich freiwillig zum Militärdienst, was mitunter zu schon komischen Situationen führte, wenn etwa der Philosoph Fichte mit einem Säbel bewaffnet durch die Straßen stolzierte.

Aber die Kriegsbegeisterung  war doch allgemein. Deutschland sollte befreit werden und Enttäuschung und Frustration waren dann umso größer, als mit dem Wiener Kongress das alte System der Mächte und Fürsten weitgehend wieder etabliert wurde.

De Bruyn hat sich auf das knappe Jahrzehnt 1807 bis 1815 beschränkt, womit ein überaus anschauliches Bild Preußens in seiner schwersten Zeit gelingt. Ein kleiner Wermutstropfen aber doch: Der Autor erzählt derart anschaulich und fesselnd, dass man unwillkürlich neugierig wird, wie es bei den einzelnen Personen, die ja fast alle noch mehrere Jahrzehnte nach 1815 vor sich hatten, weitergegangen ist, bei Clausewitz etwa, der ja erst ab 1820 sein großes Werk über den Krieg schrieb. So bricht die Biographie oft etwas unvermittelt ab. Gleichwohl, es ist eines der  schönsten Preußenbücher, das wir seit langem erhalten haben.                         Dirk Klose

Günter de Bruyn: „Die Zeit der schweren Not – Schicksale aus dem Kulturleben Berlins 1807 bis 1815“, S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2010, gebunden, 432 Seiten, 24,95 Euro


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