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14.05.11 / Modell Italien / Wirtschaftswunder und Staatsverschuldung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-11 vom 14. Mai 2011

Modell Italien
Wirtschaftswunder und Staatsverschuldung

150 Jahre nationale Einheit feiert Italien in diesem Jahr. Pünktlich zum Geburtstagsjubiläum hat Hans Woller vom Münchener Institut für Zeitgeschichte ein Standardwerk zur Geschichte der Apenninenhalbinsel im 20. Jahrhundert herausgebracht. Es war ein bewegtes Jahrhundert mit zwei Weltkriegen, mehreren Wirtschaftskrisen, politischen Umbrüchen und gesellschaftlichen Wandeln.

Wie Deutschland war Italien als Nationalstaat eine Spätgeburt und um 1900 ein bitterarmer Agrarstaat. Im Gegensatz zu den liberalen Ideen der Unabhängigkeitsbewegung, des Risorgimento, entwickelte sich im neuen Königreich eine starke nationalis-tisch-imperialistische Strömung. Kolonien auf dem „Schwarzen Kontinent“ sollten nicht nur den erhöhten Rohstoffbedarf des Landes im Zuge der Industrialisierung decken, sondern auch eine Heimat für italienische Wirtschaftsemigranten bieten. Ferner unterstreicht der Autor die Bedeutung der nord- und ostafrikanischen Provinzen als Statussymbol im Konkurrenzkampf der europäischen Großmächte und für die nationale Identitätsbildung.

Nach dem Ersten Weltkrieg stürzten die nur teilweise erfüllten Gebietsansprüche, Inflation und Konjunktureinbruch den Staat in eine Dauerkrise. Aus ihr erwuchs die faschistische Bewegung Benito Mussolinis.

Nach dem „Marsch auf Rom“ 1922 wurde unter Beibehaltung der Monarchie ein totalitärer Staat errichtet, der einige Nachahmer in Europa fand. An der Seite Deutschlands trat Italien 1940 in den Zweiten Weltkrieg ein.

Der sich abzeichnende Sieg der Alliierten führte 1943 zum Sturz des faschistischen Diktators. Bis zur Kapitulation der deutschen Streitkräfte im April 1945 kämpften Partisanen im faschistisch besetzten Norden.

Eine Volksabstimmung schaffte 1946 die Monarchie ab. Das politische Selbstverständnis der Nachkriegsrepublik stützte sich auf den Widerstands-Mythos, um die faschistische Schuld der Italiener zu relativieren. Stärkste politische Kraft wurden die Christdemokraten (DC), die bis 1993 an allen Regierungen beteiligt waren.

Das Wirtschaftswachstum erreichte in den 1950er Jahren europäische Spitzenwerte. Woller spricht von einem spezifischen „Modell Italien“: Protektionismus und staatliche Subventionen hätten den Aufstieg zur Industrienation ermöglicht. Kehrseite waren eine geringe internationale Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und eine massive Staatsverschuldung.

Die Wirtschaftskrise, ständige Regierungswechsel aufgrund innerparteilicher Streitigkeiten sowie Terrorakte links- und rechtsextremer Gruppen in den 1970er Jahren offenbarten die politische Labilität des italienischen Systems. Anfang der 1990er Jahre deckten Mailänder Anwälte zahlreiche Korruptionsskandale und enge Verbindungen zwischen Politik, Wirtschaft und organisierter Kriminalität auf. Die DC zerfiel. In dieses Machtvakuum stieß Medienunternehmer Silvio Berlusconi mit seiner rechtsliberalen Forza Italia. Seit 2001 regiert der Cavaliere – unterbrochen von einem kurzen Intermezzo der Linken von 2006 bis 2008 – mit einem Mitte-Rechts-Bündnis.

Wollers Kompendium ist ein kenntnisreicher, elegant erzählter Gang durch die italienische Zeitgeschichte. Der Autor berück-sichtigt regionale, nationale sowie internationale Entwicklungen und zieht zahlreiche Querverbindungen zur Wirtschaftspolitik. Nur das Urteil zur Gegenwart fällt unscharf aus.

Der Historiker unterschätzt die Gefahr für die Demokratie, die von Berlusconi oder der rechts-populistischen Lega Nord ausgeht. Weder kann die Rede von der gepriesenen aktiven Zivilgesellschaft noch von einem klaren Profil der Opposition sein. Bilder, Graphiken, Tabellen sowie ein Begriffs- und Personenverzeichnis hätten den Text schließlich aufgelockert und wissenschaftlich aufgewertet. Sophia E. Gerber

Hans Woller: „Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert“, C.H. Beck-Verlag, München 2010, 480 Seiten, 26,95 Euro


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