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21.05.11 / Gestalter der Vertriebenenpolitik / Mit Rudolf Hilf starb der wohl letzte noch lebende Mitwirkende an der Charta der Heimatvertriebenen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-11 vom 21. Mai 2011

Gestalter der Vertriebenenpolitik
Mit Rudolf Hilf starb der wohl letzte noch lebende Mitwirkende an der Charta der Heimatvertriebenen

Außerhalb der sudetendeutschen Volksgruppe kennen nur wenige den Namen Dr. Rudolf Hilf. Doch der Historiker und Politikwissenschaftler, der am 20. April im Alter von 88 Jahren in Hamburg verstarb, gehörte über den Kreis der Sudetendeutschen hinaus zu den einflussreichen Gestaltern der Politik der deutschen Vertriebenen. Praktisch sicher war Hilf der letzte lebende Mitwirkende an der Charta der deutschen Heimatvertriebenen, die am 5. August 1950 in Stuttgart verkündet wurde.

Dass Hilf schon als 27-jähriger Historiker an einem solchen Dokument mitarbeiten konnte, verdankte er seinem engen Kontakt zum ersten Sprecher der Sudetendeutschen, Rudolf Lodgman von Auen. Lodgman, der Ende 1918 für ein paar Wochen Landeshauptmann (also quasi Ministerpräsident) der kurzlebigen „Provinz Deutschböhmen“ war – bis anrückende tschechische Truppen seine Regierung zur Flucht aus der Landeshauptstadt Reichenberg zwangen –, war Hilf mit seiner Unbeirrbarkeit und Gradlinigkeit zeitlebens ein Vorbild.

Die Sympathie war wechselseitig und Lodgman machte den 1951 in München promovierten Hilf zu seinem außenpolitischen Referenten, eine Funktion, die Hilf bis 1959 ausübte. Da in Prag ein stalinistisches Regime herrschte, bedeutete „Außenpolitik“ in dieser Zeit vor allem Zusammenarbeit mit dem tschechischen demokratischen Exil sowie mit vertriebenenfreundlichen Politikern im Westen. Hier sind den Sudetendeutschen in dieser Zeit bemerkenswerte, aber weithin vergessene Erfolge gelungen.

Bereits am 4. August 1950 kam es zum „Wiesbadener Abkommen“ mit dem Tschechischen Nationalrat, dem führenden Gremium des demokratischen Exils der Tschechen. Ziffer 3 dieses Abkommens lautet wörtlich: „Beide Teile betrachten die Rückkehr der vertriebenen Sudetendeutschen in ihre Heimat als gerecht und daher selbstverständlich. Sie sind sich dessen bewusst, dass diese Rückkehr nur dann erfolgen kann, wenn auch das tschechische Volk befreit ist. Deshalb wollen sie alles tun, um seine Befreiung zu verwirklichen.“ In Ziffer 4 heißt es: „Beide Teile lehnen die Anerkennung einer Kollektivschuld und des aus ihr fließenden Rachegedankens ab. Sie verlangen aber die Wiedergutmachung der Schäden, die das tschechische Volk und das sudetendeutsche Volk erlitten haben und die Bestrafung der geistigen Urheber und der ausführenden Organe der begangenen Verbrechen …“ In Ziffer 5 schließlich heißt es: „Beide Teile sind sich darin einig, dass über die endgültigen staatspolitischen Verhältnisse … beide Völker entscheiden sollen, sobald die Befreiung des tschechischen Volkes und die Rückkehr der Sudetendeutschen erfolgt sein werden …“ Mit anderen Worten: Tschechische Exilpolitiker verwarfen hier zusammen mit den Sudetendeutschen ganz grundsätzlich die Vorstellung, dass die bereits vollzogene Vertreibung Einfluss haben sollte auf die staatsrechtliche Ausgestaltung des sudetendeutsch-tschechischen Miteinanders.

Ob der junge Rudolf Hilf bereits an diesem Abkommen mitwirkte, entzieht sich dem Wissen des Autors, angesichts seines sons­tigen Wirkens erscheint das aber wahrscheinlich, der Text trägt gleichsam Hilfs Handschrift. Mit Sicherheit hat er an den engen sudetendeutsch-(exil)tsche­­chi­schen Kontakten mitgeknüpft, die auf der Basis dieses Abkommens in den 50er Jahren entstanden sind und vielfach bis 1989 bestanden haben. Hilf, der nie Spitzenämter bekleidete, blieb bis weit in die 90er Jahre eine „Graue Eminenz“ der sudetendeutschen Heimatpolitik. 1977 gehörte er zu den Initiatoren des Internationalen Instituts für Nationalitätenrecht und Regionalismus (Interreg) mit Sitz in München. Zu seinen späten Erfolgen gehören die Schaffung der deutsch-tschechischen Euregio Egrensis bereits bald nach 1990 und die deutsch-tschechische Petition „Versöhnung 95“, die eine Antithese zur damals unter vielen diplomatischen Mühen an den Sudetendeutschen vorbei ausgehandelten deutsch-tschechische Erklärung ist.

Das Wirken des hellsichtigen Analytikers Hilf war jedoch breiter angelegt. So brachte er beispielsweise bereits 1988 für die Bayerische Landeszentrale für Politische Bildung ein 576-seitiges Werk über den aufstrebenden politischen Islamismus („Weltmacht Islam“) heraus und engagierte sich intensiv im damals in seiner Wichtigkeit noch weit unterschätzten Dialog mit dem Islam. Als Autor hat Hilf eine Fülle an Büchern, Artikeln und Aufsätzen hinterlassen. Sie erinnern nicht nur an Unerledigtes im Verhältnis Deutschlands mit seinen östlichen Nachbarn, sondern zeigen Lösungswege auf.   K.B.


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