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28.05.11 / »Kunst braucht Gunst« / Willy Stöwer: Der populärste Vertreter der kaiserlich-deutschen Marinemalerei starb in Armut

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-11 vom 28. Mai 2011

»Kunst braucht Gunst«
Willy Stöwer: Der populärste Vertreter der kaiserlich-deutschen Marinemalerei starb in Armut

In Deutschland entwickelte sich die Marinemalerei erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu einem eigenständigen Genre. Während der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. stellten sich bedeutende Vertreter der maritimen Kunst in den Dienst des Flottengedankens. Einer von ihnen starb vor 80 Jahren: Willy Stöwer.

Heute wird die Marinemalerei der deutschen Kaiserzeit als ein komplexes kulturhistorisches Thema behandelt. Ihr populärster Vertreter war der Maler, Zeichner und Illus­trator Willy Stöwer, ein Autodidakt, geboren am 22. Mai 1864 in Wolgast als Sohn eines Kapitäns. Fast jeder hat seine Illustration vom Untergang der „Titanic“ schon einmal gesehen, doch kaum jemand kennt noch seinen Namen. Kurz nach der Schiffskatastrophe vom 14./15. April 1912 wurde Stöwers Schwarzweißmalerei in der Wochenzeitschrift „Gartenlaube“ erstmals abgedruckt. Obwohl mit einigen Fehlern behaftet, wurde das „Titanic“-Bild in den 1950er Jahren nachträglich koloriert und seitdem immer wieder verwendet.

Willy Stöwer war noch als Techniker im Maschinenbau bei der Stettiner Vulcan Werft angestellt, als er sich in den 1880er Jahren bereits nebenberuflich mit der künstlerischen Abbildung von Kriegsschiffen beschäftigte, was ihm Aufträge aus Marinekreisen eintrug. Seinen Durchbruch als Maler und Reproduktionskünstler und den damit verbundenen gesellschaftlichen Aufstieg hatte er nächst seiner Begabung der Tatsache zu verdanken, dass er mit seinen lebensnahen Kompositionen und ausdrucksvollen Farben den Geschmack des Kaisers traf. Dessen Begeisterung für alles Maritime umschreibt sein Ausspruch „Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser“. Für Willy Stöwer öffneten sich die Türen beim Reichsmarineamt und bei Hofe. 1893 erwarb der Kaiser erstmals eines seiner Gemälde, eine Darstellung der noch im Bau befindlichen Yacht „Hohenzollern“ auf hoher See.

Fortan verlief sein Leben gemäß dem von ihm in seiner 1929 erschienenen Autobiografie zitierten Motto „Kunst braucht Gunst“: Die Kriegsmarine, die stark expandierende Handelsflotte, die immer größeren Dampfschiffe für den Transport der Passagiere und Auswanderer über die Ozeane eröffneten Willy Stöwer als anerkanntem Seemaler dauerhaft ein großes Tätigkeitsfeld. Als engagierter Unterstützer der von der Reichsregierung vertretenen Flottenpolitik gehörte er zu den Gründern und Vorstandsmitgliedern des Deutschen Flottenvereins von 1898. Seit 1899 nahm er mehrmals an Flottenmanövern teil, um Skizzen und Eindrücke zu sammeln.

Regelmäßig nahm der Marinemaler als Zuschauer an der Kieler Woche teil, um den sportlichen Wettkampf der Yachten ins Bild zu setzen. Ab 1904 begleitete Willy Stöwer Wilhelm II. mehrmals auf dessen Schiffsreisen im Mittelmeer und in die Welt der norwegischen Fjorde. Dabei hatte er die Gelegenheit, den Monarchen persönlich näher kennen zu lernen. 1907 wurde ihm der Professorentitel verliehen, was er als Krönung seiner Laufbahn empfand. Als Privatmann blieb Willy Stöwer leutselig und freundlich im Umgang mit jedermann, war im alten Tegeler Vereinshaus und anderen Lokalen ein häufig gesehener Gast.

Zweifellos war der erfolgreiche Marinemaler ein begnadeter Repräsentant seines Fachs. Kritiker warfen ihm jedoch, durchaus zu Recht, einen trivialisierenden Plakatstil vor – wenn sie ihn denn überhaupt zur Kenntnis nahmen. Dieser kritisierte Plakatstil dürfte bis zu einem gewissen Grad den Stilvorstellungen seines Publikums und seinem hohen Arbeitstempo geschuldet gewesen sein: Als gefragter Reproduktionskünstler arbeitete Stöwer wie am Fließband. Sein Werk hatte eine große Wirkung. In 45 Berufsjahren schuf er weit über 1000 Motive zum Thema Schifffahrt, erhielt Illustrationsaufträge von in- und ausländischen Zeitschriften, von Werften, Reedereien und Verlagen. Mit seinen Zeichnungen, Aquarellen, Gouachen und Vorlagen in Mischtechnik wurden 57 Bücher ausgestattet; hinzu kommen Bildbände und Sammelmappen. Man findet die Stöwerschen Motive auf Prospekten, Schiffsspeisekarten, Stollwerck-Sammelbildchen, Zigarrenkisten, Postkarten, Etiketten und Plakaten. Sein Schaffen lässt sich heute vor allem durch die Reproduktionen der Vorlagen erschließen, während die Originale infolge der Zeitumstände zum größten Teil verloren gegangen sind. Weniger als zehn seiner Ölgemälde sind im Besitz deutscher Museen.

Im Ersten Weltkrieg schuf Willy Stöwer Propagandabilder wie so mancher seiner Malerkollegen. Weiterhin durfte er sich der Förderung des Kaisers und dessen Gemahlin Augus­te Viktoria erfreuen.

Nach dem Ende der Abdankung des Kaisers, dem Ende der Monarchie im Reich sowie dem Verlust der Kriegs- und Handelsflotte blieb für ihn ebenso wie für die meisten deutschen Maler seiner Zunft nur noch ein kleines Betätigungsfeld übrig. Seine große Schaffensperiode war vorbei. Nichtsdestoweniger gelang ihm 1922 mit dem Gemälde „Ankunft der ,Cap Polonio‘ im Hamburger Hafen“, das sich im Besitz des Internationalen Maritimen Museums Hamburg befindet, noch ein grandioses Spätwerk, das erweist, welche Ausdruckskraft der Künstler seinen Kompositionen zu verleihen vermochte.

Seinem Kaiser blieb Willy Stöwer auch in der Weimarer Zeit treu. Jedes Jahr übersandte er ihm „untertänig“ zum Geburtstag eine illustrierte Grußkarte. Vor 80 Jahren, am 31. Mai 1931, starb der Künstler verarmt in Berlin-Tegel. Wenig später starb auch seine Witwe, die aus wohlhabender Familie stammende Berlinerin Henriette Dettmann. In dem Schreckensjahr der deutschen Volkswirtschaft veräußerten die Erben den Nachlass im Eilverfahren. 45 Originale wurden in alle Richtungen verstreut. Dagmar Jestrzemski


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