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28.05.11 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-11 vom 28. Mai 2011

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Spätbremische Dekadenz / Warum sie an der Weser so ausgelassen feiern, warum den Süddeutschen gar nicht zum  Jubeln ist, und was CDU-Mitglieder so erleben

Ist der Staat erst ruiniert,  wählt sich’s gänzlich ungeniert. Sie haben die höchste Arbeitslosenrate in Westdeutschland und eine höhere gar als Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Sie schleppen die gewaltigste Pro-Kopf-Staatsverschuldung mit sich herum, weisen die schlechtesten Pisa-Resultate auf und ein „geradezu obszönes Ausmaß an Kinderarmut“ („Frankfurter Allgemeine“).

Wen kümmert’s: Laut Umfragen haben 80 Prozent der Bremer an der Amtsführung ihres Bürgermeisters Jens Böhrnsen nichts auszusetzen und finden, dass dessen SPD besser zu ihrem Stadtstaat passt als jede andere Partei. Der Böhrnsen, hört man, sei halt so ein gepflegter, sympathischer Mann mit guten Manieren, hanseatisch eben. So einen kann man gar nicht abwählen.

Und die Schulden, die Arbeitslosigkeit, Pisa und, und, und? Ach, nun werden wir mal nicht pampig. Bremen hat auch schöne und starke Seiten, lächelte der gute Böhrnsen bei jeder Gelegenheit in die Kameras. Recht hat er. Eine der schönsten ist der stilvoll gemütliche Defätismus, der aus solchen Umfragen spricht. Er erinnert einen an die leicht kafkaeske Stimmung, die uns durch unzählige Romane über die Endzeit großer und kleiner Reiche überliefert ist.

Warum jetzt noch nervös werden? Sich gar bei aussichtslosen Rettungsversuchen aufreiben? Die Sache ist sowieso längst verloren, hier kann schon morgen alles zusammenbrechen, also: hoch die Tassen, Freunde! Lassen wir’s noch einmal krachen!

Haben Sie die Grünen und die SPD an der Weser feiern gesehen? Da war was los! Böhrnsen strahlte übers ganze Gesicht. Auch die andere, wie hieß sie noch, die kam aus dem Lachen gar nicht mehr raus. Ja, wie hieß die noch? Sieht aus wie eine Kreuzung aus Angela Merkel und der EU-Außenkommissarin Catherine Ashton. Richtig, ja: Karoline Linnert, die grüne Finanzsenatorin. Sympathische Frau.

Die Stimmung war auch deshalb so ausgelassen, weil der spätbremischen Dekadenz die bittere Zutat fehlt, welche der dröhnenden Fröhlichkeit in anderen Staaten am Abgrund eine stock­finstere Note beifügt: diese panische Angst vor dem, was mit dem Zusammenbruch über einen hereinbrechen würde. Im alten Rom spülten sie sich bei ihren letzten Orgien die schreckliche Angst vor den „Barbaren“ hinunter. Diese Art von Furcht kann durchaus noch einmal erhebliche Kräfte mobilisieren, wie der bewundernswerte, jahrhundertelange Todeskampf der Byzantiner vorgeführt hat. Deren letzter Kaiser starb mit dem Schwert in der Hand den Heldentod an den Mauern von Konstantinopel.

Diese Furcht brauchen die Bremer nicht zu teilen, das Kräftemobilisieren können sie sich sparen. Und Herr Böhrnsen: Pension und Talkshow-Auftritte („Wie ich Bremen in meiner Zeit vorangebracht habe“) warten auf ihn am Ende, nicht Schwert und Heldentod. Denn an Bremens Mauern lauern weder beutelustige Germanen noch eroberungsgierige Sultane. Dort erscheinen vielmehr schlecht gelaunte Süddeutsche, um ihren jährlichen Tribut abzuliefern, „Länderfinanzausgleich“ genannt.

Warum die das machen? Das hat was mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Die da unten haben nämlich nur deshalb mehr Geld, weil sie „sozial bessergestellt“ sind. Jawohl, „bessergestellt“! In einem Land, welches mit allen Fasern der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet ist, kommt das einer gepfefferten Anklage gleich.

Woher die „Besserstellung“ rührt, wissen wir im Norden nicht so recht. Und es interessiert uns ehrlich gesagt auch nicht. Vermutlich rauschen die Moneten mit der Schneeschmelze von Schwarzwald, Taunus und Alpen hinab ins Tal, wo sie die Leute nur aufzusammeln brauchen. Da ist es doch recht und billig, dass sie uns schuldlos gebirgsfreien Plattdeutschen etwas abgeben von der knisternden Ernte.

Ganz Bremen hat gefeiert. Ganz Bremen? Nein, nicht ganz: Irgendwo am äußersten Rand der hanseatischen Gemeinde kauert ein pittoreskes Häufchen und wirkt wie erstarrt. Die Christdemokraten glauben nicht, was sie am Wahlabend zu sehen bekamen.

Dabei sind sie selber schuld an ihrem Debakel: Die CDU-Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann soll den Bremern die Geschichte von ihrer Schlusslichtrolle erzählt haben, während Böhrnsen ihnen so viel Honig ums Maul schmierte, dass hinter den angelockten Fliegen alle Probleme verschwanden. Logisch, wem da die Herzen zuflogen.

Und die Liberalen? Hat die einer gesehen? Sachdienliche Hinweise, die zum Auffinden des letzten Bremer FDP-Wählers führen, sind der Redaktion unverzüglich weiterzuleiten.

Ritas düstere Erzählungen aus dem Gruselland der Realität reichen den bundesweit erschrockenen CDUlern aber  nicht aus als Erklärung für ihren Schiffbruch an der Weser.

Parteiinterne wie -externe Kritiker geben Merkel eine erhebliche Mitschuld am Niedergang der Union, beileibe nicht bloß in Bremen oder neulich in Baden-Württemberg und Hamburg. Um die CDU-Chefin herum würden alle auf geheimnisvolle Weise kleiner, wird in Berlin getuschelt. Sie verdampfe gleichsam sämtliche Persönlichkeiten in ihrer Umgebung, die sich ihr nicht vollkommen unterwerfen wollten. Die, die übrig blieben, seien dann eben diese blassen Typen, zweite Wahl. Deshalb besetze Deutschland auch auf internationaler Bühne immer weniger hohe Posten, IWF-Chef wird wieder ein Franzose, eine Französin, um genau zu sein.

Könnte was dran sein: Die „innere Führungsriege der CDU“ macht tatsächlich den Eindruck, als handele es sich bei ihr um den Skatklub der Fahrbereitschaft des Kanzleramts.

Und nicht allein die Berliner Spitzenriege und Deutschlands Einfluss in der Welt erodieren in diesem Klima. Auch die CDU schrumpft zusehends. Was schade ist: Die Leute wissen ja gar nicht, was ihnen entgeht.

CDU-Mitglied zu sein ist eine echte Herausforderung, nur was für ganze Kerle und starke Frauen. Da haben sie jahrzehntelang die Wehrpflicht als „Kernmarke“ verteidigt gegen 68er-Studenten, 81er-Friedensmarschierer und wen nicht alles, und dann müssen sie ihre sämtlichen Argumente in einer einzigen Nacht verspeisen. Wobei sie nicht einmal grimmig rülpsen dürfen, weil es schließlich gilt, „auch in dieser Frage Geschlossenheit zu beweisen“. Bei der Atomfrage ging es ähnlich sportlich zu. „Geschlossenheit“ ist sehr wichtig in der CDU, das war sie immer. Nur diese vorbildliche Geschlossenheit macht es der Führung nämlich erst möglich, jeden Haken zu schlagen, der ihr gerade opportun erscheint.

In Bremens kühl befreundeter Schwesterstadt Hamburg ist die CDU dermaßen geschlossen, dass man sie ob ihrer sagenhaft ruhigen Haltung kaum noch ausmachen kann. Manchmal gibt es jedoch Lebenszeichen: Derzeit ringt die Alster-Union für das „Bleiberecht“ einer illegalen Bauwagensiedlung, die regierende SPD will den Platz nämlich räumen.

Die Union möchte unter Punks und Anarchos offenbar neue Wählerschichten anlocken. Die benötigt sie auch: Wenige hundert Meter von dem Bauwagenlager entfernt mussten nämlich Dutzende Laubenpieper zusehen, wie ihre Häuschen für eine vom alten CDU-Senat beschlossene Gartenbauausstellung plattgemacht wurden. Die wählen, das Gelächter der Bauwagenleute im Ohr, so schnell nicht mehr CDU.

Die Hamburger Schwarzen nennen ihre Politik übrigens „CDU pur“. Das muss es also sein, was sich Volker Kauder unter der „Großstadtkompetenz der CDU“ vorstellt. Was sich die dergestalt umworbenen Wähler vorstellen, wird unterdessen immer rätselhafter. In Bremen stellte sich jeder zweite überhaupt nichts mehr vor und blieb den Urnen fern. CDU gewählt hat, auf alle gerechnet, also noch jeder Zehnte, der FDP die Stimme gegeben hat noch jeder ... ach, hätte ich in Mathe doch besser aufgepasst!


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