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04.06.11 / Polens ehrgeizige EU-Ziele / Warschau wird Ratspräsidentschaft zur Förderung eigener, kostspieliger Projekte nutzen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-11 vom 04. Juni 2011

Polens ehrgeizige EU-Ziele
Warschau wird Ratspräsidentschaft zur Förderung eigener, kostspieliger Projekte nutzen

Turnusgemäß übernimmt Polen in der zweiten Jahreshälfte die EU-Ratspräsidentschaft. Die polnischen Erwartungen sind hoch, allerdings droht die Präsidentschaft in den Strudel des Sejm-Wahlkampfs zu geraten. Projekte zur Sicherheits- und Nachbarschaftspolitik bergen neues Konfliktpotenzial im Verhältnis zu Russland.

Ungarns derzeitige EU-Ratspräsidentschaft wird außer dem Streit über das neue Mediengesetz wenig Spuren hinterlassen. Warschau, das die Präsidentschaft zum 1. Juni übernehmen wird, hat erheblich ehrgeizigere Ziele. Allerdings wird selbst im eigenen Land befürchtet, dass die Präsidentschaft durch den einsetzenden Wahlkampf nicht den erwarteten Erfolg haben wird – Wahltermin zum Sejm ist wahrscheinlich der 23. Oktober. Insbesondere von der oppositionellen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawiedliwosc) ist noch mehr als bisher mit Vorwürfen zu rechnen, dass polnische Interessen nicht genügend durchgesetzt würden. Bemerkbar machen könnte sich das bei den Verhandlungen zum EU-Finanzrahmen für die Jahre 2014 bis 2020.

Der Auftakt zur entsprechenden Planung fällt in die Zeit der polnischen EU-Ratspräsidentschaft. Vorgesehen dazu ist unter anderem eine informelle Sitzung des Allgemeinen Rates am 28. Juli in Zoppot. Vorschläge, die zur Entlastung der Nettozahler der Gemeinschaft führen, sind von Polen, dem größten Empfänger von EU-Geldern, kaum zu erhoffen. Das gilt vor allem für Über­legungen zur Rück­führung der Agrarförderung in nationale Zuständigkeit oder ein Zurückfahren der Strukturfonds. Im Gegenteil, es wird erwartet, dass während der polnischen Präsidentschaft kostspielige Projekte auch zur Verfolgung eigener Interessen auf die Tagesordnung gesetzt werden. Eines dieser Vorhaben könnte die Schiefergas-Förderung sein. Wegen geringer Effizienz und hoher Umweltbelastung gilt diese Fördertechnologie innerhalb der EU als umstritten. Ziel Warschaus ist die Etablierung der teuren Erschließungsmethode als „gemeinsames europäisches Projekt“ im Rahmen der EU-Versorgungsstrategie. Hintergrund ist, dass größere Vorkommen von Schiefergas, insbesondere rund um das Gebiet um Danzig, vermutet werden. Die Erschließung der Vorkommen durch US-Firmen soll auf EU-Ebene abgesichert werden – sowohl finanziell als auch dadurch, dass Umweltschutzeinwände von vornherein ausgeschaltet werden.

Bereits im Vorfeld der Ratspräsidentschaft wird von polnischen Medien bedauert, dass das Land als Nicht-Mitglied des Euro-Raums von wichtigen finanzpolitischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sein wird. Verhandlungen über die Zukunft des Euro werden in Brüssel und Berlin stattfinden, ohne dass polnische Vertreter dabei eine Rolle spielen werden.

Umso größer wird die Versuchung sein, auf anderen Politikfeldern hervorzutreten, etwa bei der EU-Erweiterungspolitik. Erwartet wird der Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien, eventuell die Aufnahme von Verhandlungen mit Island und Serbien sowie eine Liberalisierung der Visumvergabe beim europäischen Schlusslicht Moldawien. Außenpolitisches Konfliktpotenzial birgt das Feld der Nachbarschaftspolitk – gemeint sind hierbei vor allem die östlichen Nachbarländer Polens Ukraine und Weißrussland, aber auch Projekte in der Kaukasusregion mit dem Schwerpunkt Georgien und sogar zentralasiatische Länder. Vorantreiben wird Polen seine Bemühungen zur Schaffung einer Freihandelszone und zur verteidigungspolitischen Einbindung seiner östlichen Nachbarn. Spektakulärer Höhepunkt auf diesem Gebiet wird der „Gipfel der Östlichen Partnerschaft“ sein, der für den 29. und 30. September in Warschau geplant ist. Angesichts der schwachen Position der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton ist nicht ausgeschlossen. dass es im Rahmen der Nachbarschaftspolitik zu unabgestimmten Initiativen kommt, die das Verhältnis zu Russland belasten würden. Ein mögliches Beispiel hat bereits der Obama-Besuch am 28. Mai in Warschau geliefert, als die polnische Regierung überraschend den Aufbau einer US-Luftwaffenbasis im Land verkündet hat (siehe Kommentar S. 8).            Norman Hanert

Foto: Einseitiger Geldfluss: Polen profitiert von EU-Mitteln        Bild: dapd/J. Köhler


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