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04.06.11 / Kindheit unter Spitzeln / Autorin schildert glaubhaft ihre Jugendjahre in Schwerin bis 1960

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-11 vom 04. Juni 2011

Kindheit unter Spitzeln
Autorin schildert glaubhaft ihre Jugendjahre in Schwerin bis 1960

Mühsam war das Leben in der DDR seit ihrer Gründung im Jahre 1949 für alle diejenigen, die im neuen System nicht Täter, Spitzel und Mitläufer, vor allem aber nicht Opfer werden wollten. Da die Methode der Drangsalierung und Bespitzelung durch die Stasi sich dauerhaft etablierte, nahm der Exodus seinen Lauf. Zahllose Menschen, die dem Überwachungsstaat in den Jahren bis zum Mauerbau den Laufpass gaben, ließen notgedrungen Haus und Hof zurück. So auch die Mutter der Journalistin Christine Brinck. In dem schmalen Band „Eine Kindheit in vormaurischer Zeit“ berichtet Brinck von ihrer Kindheit in Schwerin bis 1960, dem Jahr, als sie 15-jährig in Begleitung einer ihrer Schwestern nach Berlin (West) ausreiste, wo Mutter und Bruder bereits eingetroffen waren. Ihre in Berlin (Ost) lebende und arbeitende ältere Schwester hatte die Flucht der Familie vorbereitet.

Der Schilderung eigenen Erlebens folgen Interviews mit Menschen, die wie sie selbst aus der DDR geflohen sind oder freigekauft wurden.

Das Buch schließt mit einem Augenzeugenbericht über den Streik der Greifswalder Medizinstudenten im Frühjahr 1955 sowie dem Kapitel „Anstelle eines Nachworts: Die DDR im Kopf: vom Wir-Gefühl der Ossis“. Darin beklagt die Autorin eine zur Schau getragene, rückwärtsgewandte Identitätspflege als eine noch immer in den neuen Ländern verbreitete Haltung. Warum eigentlich dieses Anprangern eines solchen Wir-Gefühls – es gab sie doch auch, die Kindheiten in der DDR, die als normal und glücklich verlaufen empfunden werden? Die Antwort lautet: „Dass die DDR ausgerechnet durch Überwachung und politische Zwangsmaßnahmen die Verbesserung des Menschen anzustreben vorgab, hat ein Leben in Lüge zur Folge gehabt, in einer Lüge, die alle erfasste und allen Schaden zufügte.“ Besser kann man es nicht formulieren.

Hilfsmittel wie Gespräche mit Verwandten und Freunden sind sicherlich notwendig, um nach etlichen Jahrzehnten eine in sich geschlossene Erzählung über die eigene Kindheit zuwege zu bringen. Dies ist der Autorin gelungen. Ihr Aufwachsen im deutschen Ost-Staat hat sie mit Blick auf die prekäre Lage kirchlich orientierter Menschen beschrieben, zu denen ihre Familie zählte.

Auch Kinder und Jugendliche liefen Gefahr, als Staatsfeinde identifiziert zu werden, zumal wenn sie nicht der FDJ beitraten. Vorsicht und eine unbestimmte Angst waren daher ihre ständigen Begleiter: „Kinder, die in Familien aufwuchsen, die den neuen Herrschern nichts abgewinnen konnten, waren meist politisch frühreif, lernten in der Sandkiste schon ­Codes, die die Cousinen im Westen nie verstanden.“ Mit ihren Freundinnen unternahm Brinck herrliche Fahrradausflüge und genoss das Baden im See, doch nicht mit jeder konnte sie frei über alle Themen reden.

Die verwitwete Mutter der Autorin führte in ihrer riesigen Wohnung eine Schülerpension. Für Brinck selbst, die Jüngste von vier Geschwistern, war die Gemeinschaft mit den bei ihnen einquartierten Oberschülern eine Art erweiterte Familie. Alle hatten den selben Wertekanon. Zusammen mit den Eltern der Pensionsschüler bildeten sie eine verschworene Gemeinschaft. Hingegen galten zumindest die Gruppen der älteren Jugendlichen der Jungen Gemeinde als unterwandert. Immer mehr Menschen aus ihrem eigenen Umfeld flohen in den Westen.

Unerklärlich aus heutiger Sicht bleibt, so betont die Autorin, dass die DDR angesichts der anhaltend hohen Zahl von Ausreisen niemals gewillt war, an den Ursachen für den Wunsch wegzugehen etwas zu ändern: Insgesamt wurden 3,5 Millionen Flüchtlinge und Ausreiseantragsteller registriert.

Da ihre Geschwister nicht alle die Oberschule besuchen durften und niemand von ihnen die Aussicht hatte, studieren zu dürfen, wurde schließlich die von ihrer Mutter lange geplante, aber immer wieder verschobene Flucht unvermeidbar. Es sollte fast zwei Jahre dauern, bis ihre gesamte Familie in Hamburg wieder unter einem Dach vereint war.        

Dagmar Jestrzemski

Christine Brinck: „Eine Kindheit in vormaurischer Zeit“, Berlin Verlag, Berlin 2010, gebunden, 173 Seiten, 19,90 Euro


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